Soziale Netzwerke

  

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Neues Angebot für Frauenhausbewohnerinnen: Mit „Second Stage“ zurück in ein selbstständiges Leben

Pilotprojekt des bayerischen Sozialministeriums beim AWO-Frauenhaus Würzburg angesiedelt

  Seit Beginn des Jahres finanziert das bayerische Sozialministerium an insgesamt 17 Standorten in Bayern Modellprojekte zum wohnraumbezogenen Übergangsmanagement und begleitende psychosoziale Beratung für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und ihrer Kinder. Mit diesem Angebot sollen Frauenhausbewohnerinnen, die nach Krisenintervention und Stabilisierung im Frauenhaus noch weitere intensive Hilfen benötigen, unterstützt werden.

 

Unter dem Begriff „Second Stage“ versteht man die weitergehende Betreuung von gewaltbedrohten Frauen über ihre Zeit im Frauenhaus hinaus, so die Sozialpädagogin Natalia Kohlprath vom AWO-Frauenhaus Würzburg. Als einziger Standort in Unterfranken ist das Frauenhaus am Pilotprojekt beteilig. Das Frauenhaus bietet bedrohten und von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern eine Zufluchtsmöglichkeit und Schutz vor weiteren Misshandlungen. Hier haben sie die Möglichkeit, Abstand zu gewinnen und sich in der Gemeinschaft der Bewohnerinnen und mit Unterstützung der Mitarbeiterinnen mit den eigenen Erfahrungen auseinanderzusetzen und zu lernen, neue Lebensperspektiven innerhalb oder außerhalb der Partnerschaft zu entwickeln.

 

Ursprünglich kommt die Idee von Second Stage aus den Niederlanden. Übersetzt heißt der Name so viel wie „die zweite Etappe“ auf dem Weg zu einem eigenständigen Leben. Frauen, die ins Frauenhaus kommen, haben häufig über viele Jahre häusliche Gewalt erfahren. Sie müssen erst langsam wieder an das „normale Leben“, ein Leben ohne Gewalt, herangeführt werden, so Kohlprath. Da die Frauenhäuser als Kriseneinrichtungen nicht für eine langfristige Unterbringung gedacht sind, will das Pilotprojekt hier ergänzend unterstützen. Vor allem Frauen, die über wenig Ressourcen verfügen, kommen Schutz suchend in das Würzburger Frauenhaus des AWO Bezirksverbandes Unterfranken: junge, oft bildungsferne Frauen mit kleinen Kindern, Frauen mit Migrationshintergrund, geflüchtete Frauen, Frauen mit vielen Kindern und zunehmend auch ältere Frauen. Sie nach einer gewissen Konsolidierungsphase in eigene Wohnungen zu vermitteln, ist bei dem derzeit angespannten Wohnungsmarkt nicht ganz einfach, berichtet Kohlprath. „Der Markt ist einfach leer“, zumal in den vergangenen Jahren viele Sozialwohnungen nicht mehr verfügbar sind, da die Sozialbindung erloschen ist. Viele Frauen haben gar keine Chance an eine bezahlbare Wohnung zu kommen. Und genau hier setzt das Projekt Second Stage an. Natalia Kohlprath unterstützt die Frauen bei der Wohnungssuche, beim Umzug in die eigene Wohnung und bei der Integration in das neue Lebensumfeld. Das Second-Stage-Projekt im AWO Frauenhaus umfasst drei Plätze, zwei im Frauenhaus und einen in einer vom Bezirksverband angemieteten Wohnung.

 

Seit Corona, so weiß Kohlprath, hat sich die Wohnungssituation für die Frauenhausbewohnerinnen noch weiter verschärft. Viele Wohnungsbaugenossenschaften bieten erst langsam wieder, nach Aufhebung der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie, ihre Wohnungen auf dem freien Markt an. Außerdem bleiben die bisherigen Mieter einfach länger in ihrer gekündigten Wohnung, weil sie keinen Ersatz finden. Das erschwert die Situation zusätzlich. Einen Vorteil sieht Kohlprath darin, dass Wohnungsbesichtigungen jetzt vielfach als Einzelbesichtigungen angeboten werden und nicht, wie früher üblich, zu einem Besichtigungstermin, wo bis zu zehn andere Bewerber*innen kommen.

 

Neben der Hilfe bei der Wohnungssuche will Second-Stage aber noch mehr. Es geht darum, die Frauen nach ihrem Auszug aus dem Frauenhaus intensiv weiter zu betreuen und ihnen einen Neueinstieg ins Alltagsleben zu ermöglichen. Natalia Kohlprath hilft beim Ausfüllen von Anträgen für weitergehende Hilfen und ist als Bezugsperson und Ansprechpartnerin für die ehemaligen Frauenhausbewohnerinnen da. Darüber hinaus soll das Projekt auch dem Auf- und Ausbau von Netzwerken auf dem Sozial- und Wohnungsmarkt dienen, um gewaltbetroffenen Frauen bei der Wohnungssuche effizienter unterstützen zu können.

 

Der Aufbau neuer Kooperationen war während der Kontaktbeschränkungen nur eingeschränkt möglich, so Kohlprath, entwickelt sich aber nun wieder besser. Vieles läuft über die digitalen Kanäle, wie Telefon oder Internet. Das Projekt ist erst einmal bis Mitte 2021 befristet durch die Staatsregierung finanziert. Wie es dann weitergeht, hängt von den Ergebnissen ab, die die einzelnen Standorte gesammelt haben. Auch hier findet ein regelmäßiger Austausch mit den Kolleg*innen statt, erzählt Natalia Kohlprath. Der sei auch wichtig, damit den Frauen umfassend geholfen werden kann. „Das Wichtigste ist, dass wir die potentiellen Vermieter sensibilisieren, auch Frauen und Familien aus dem Frauenhaus eine Perspektive zu bieten“. Aufgrund der zahlreichen Berichte zum Thema „häusliche Gewalt“ in den Medien während der Corona-Pandemie hofft Kohlprath hier auf mehr Verständnis und Offenheit.    

Bild: Natalia Kohlprath berät und hilft Frauen mit dem Second-Stage-Projekt zurück in ein normales und selbstbestimmtes Leben, auch in Zeiten von Corona