Würzburg, 08.08.2019 – „Das Stück ist eindrucksvoll. Und anstrengend.“ Achim Könneke, Kulturreferent der Stadt Würzburg, sitzt etwas nachdenklich auf dem Sessel, während aus dem Computer in Dauerschleife ein Lied mit dem Titel „I am schizophren“ schallt. „Die Krankheit ist anstrengend“, unterbricht Walburga Dirk schonungslos seine Gedanken. Dirk ist Genesungsbegleiterin im Erthal-Sozialwerk, in ihrem zweiten Leben, das sich in vor und nach der Depression teilen lässt.
In ihrem ersten Leben war Dirk Restauratorin. Heute begleitet sie als Expertin in eigener Sache Menschen nach einer psychischen Krise und ist als Künstlerin aktiv. Doch das Lied „Schizophren“ stammt nicht von ihr selbst: Gemeinsam mit Achim Könneke, dem Künstlerehepaar Sonja Edle von Hoeßle und Herbert Mehler, sowie Kathrin Kreutzmann, Inspezientin am Mainfranken-Theater und Organistin, sitzt Dirk in der Jury des Kunstwettbewerbs „Schutzengel & Superhelden“ des Rehabilitationszentrums Haus St. Michael am Würzburger Heuchelhof.
Die Expertenrunde hat keine leichte Aufgabe vor sich: Aus Platzmangel können nicht alle der eingereichten Werke Teil der Ausstellung sein, die ab dem 3. September im Lesecafé der Stadtbücherei zu sehen sein wird. Die zehn beeindruckendsten Werke erhalten am 26. September im Dauthendey-Saal im Falkenhaus außerdem einen Anerkennungspreis, der mit je 200 Euro dotiert ist. So muss die Jury vorab eine Auswahl treffen – auch wenn es schwer fällt.
„Rund 70 Einreichung sind bei uns angekommen“, sagt Ilona Englert, Leiterin des Rehabilitationszentrums Haus St. Michael, „und alle erzählen eine ganz persönliche Geschichte.“ Denn Ziel des Wettbewerbs und der darauf folgenden Ausstellung ist es, die Perspektiven von Menschen, die eine psychische Krise durchlebt und gemeistert haben, der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
„Während eine Reha-Maßnahme nach orthopädischen Eingriffen oder Herz-KreislaufErkrankungen inzwischen Gang und Gäbe ist, gilt das leider immer noch nicht für den Bereich der psychischen Erkrankungen“, bedauert Englert. „Dabei betreffen diese Erkrankungen immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft. So bekommen viele Menschen nicht die Hilfe, die sie eigentlich bräuchten.“ Denn nach einer psychischen Krise kann der Weg zurück in den Alltag steinig sein – im sozialen Umfeld und besonders im beruflichen Leben. Hier unterstützt das Haus St. Michael mit einer 16-monatigen Rehabilitation. Ziel ist die Wiedereingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Einige der derzeit 42 Rehabilitanden des Haus St. Michael am Würzburger Heuchelhof haben auch selbst am Kunstwettbewerb teilgenommen. Gemälde, Fotografien, Skulpturen, Musikstücke, Gedichte, Kurzgeschichten – aus allen Genres gibt es Einreichungen. Die Wahl der Kunstform war frei, Wettbewerb und Ausstellung sind bewusst offen gehalten. Einzig das Thema war vorgegeben: „Schutzengel & Superhelden“ - so heißt die Ausstellung deshalb, weil der Fokus auf dem Genesungsprozess, dem Überkommen der Krise liegen soll.
„Die Ausstellung soll die Erfahrungen von Menschen mit psychischer Erkrankung in die Gesellschaft tragen und so Barrieren abbauen“, so Englert. Gleichzeitig soll sie Betroffenen und Angehörigen Hoffnung geben. „Wenn wir es dann noch schaffen, einen Diskurs über psychische Erkrankungen anzustoßen und dazu beitragen können, Betroffenen die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie nach einer psychischen Krise brauchen – dann haben wir wirklich alles erreicht, was wir uns erträumt haben.“
Dass das Thema von hoher gesellschaftlicher Relevanz ist, zeigt sich an der großen Zahl an Unterstützern und Förderern. Vermop, die Edeka-Frischemärkte Trabold und die win GmbH gehören zu den Hauptsponsoren. Darüber hinaus haben Beckhäuser Personal & Lösungen, Jacobs Kaffee, AHV, MW-Vertrieb, Brügelmann, Froneri, Chef’s Culinar, Cummins, prosum und die Frische-Union das Konzept unterstützt. Das Kunstprojekt „Schutzengel & Superhelden“ wird außerdem gefördert von der Inklusionsstelle der Stadt Würzburg, der Sparkasse Mainfranken und der Caritas-Stiftung.
Über das Erthal-Sozialwerk
Das Erthal-Sozialwerk hat sich zur Aufgabe gemacht, Menschen mit psychischer Erkrankung oder Behinderung ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben zu ermöglichen. Mit vielfältigen, differenzierten Angeboten in den Bereichen Wohnen, Arbeiten, Begegnung, Beratung und Rehabilitation trägt es seit 1996 dazu bei, die Lebensqualität der betroffenen Menschen zu verbessern und deren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern. Die Einrichtungen und Dienste des Erthal-Sozialwerks befinden sich in Stadt und Landkreis Würzburg, im Landkreis Main-Spessart und in der Stadt Aschaffenburg. Heute sind das St. Josefs-Stift Eisingen e.V. und der Caritasverband für die Diözese Würzburg e.V. zu gleichen Teilen Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH ErthalSozialwerk.