Würzburg: Es kommt nicht oft vor, dass Masterarbeiten von Verlagen in ihr Programm aufgenommen werden. Jennifer Danquah ist dies gelungen – mit ihrer Studie zu öffentlichen Bibliotheken als rassismuskritische Lernorte für Erwachsene.
“Race does not exist, but it kills people.” Dieses Zitat der französischen Soziologin und Feministin Collette Guillaumin hat Jennifer Danquah an den Beginn ihrer Forschungsarbeit gestellt. Tatsächlich, so die Doktorandin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), sind Übergriffe aus rassistischen Motiven in Deutschland Realität. Seit 1990 zählt die Amadeu Antonio Stiftung 219 Todesopferrassistischer und rechtsextremer Gewalt, und knapp zweiDrittel der Befragten berichten in einer Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung von direkten oder indirekten Erfahrungen mit Rassismus.
Der Spaltung entgegenwirken
Wenn es darum geht, sich dieser Herausforderung zu stellen und das Menschenrecht auf ein diskriminierungsfreies und selbstbestimmtes Leben einer jeden Person zu ermöglichen, ist auch die Pädagogik gefragt – speziell die Erwachsenenbildung. „Sie kann ein gesamtgesellschaftliches Umlernen anstoßen und einer Spaltung in ‚Wir und die Anderen‘ entgegenwirken“, sagt Danquah.
Danquah hat an der Uni Würzburg Pädagogik und Wirtschaftswissenschaft auf Bachelor studiert und einen Master im Bereich Bildungswissenschaft mit einem Schwerpunkt auf Internationaler Erwachsenenbildung angeschlossen. Inzwischen arbeitet die 29-Jährige an der Professur für Erwachsenenbildung / Weiterbildung der JMU bei Professorin Regina Egetenmeyer-Neher an ihrer Doktorarbeit. Welche Rolle öffentliche Bibliotheken im Kampf gegenRassismus übernehmen können, inwieweit sich diese als Lernzentren verstehen und wie sie gestaltet sein könnten, um rassismuskritisch zu arbeiten: Das hat Jennifer Danquah in ihrer Masterarbeit untersucht. Für die Erkenntnisse hat sich der Beltz Verlag interessiert – mit dem Ergebnis, dass diese Studie jetzt in einer leicht überarbeiteten Version als gedrucktes Buch erhältlich ist. Dessen Titel lautet „Die öffentliche Bibliothek als rassismuskritischer Lernort für Erwachsene“.
„Ich habe mich schon immer mit dem Thema ‚Soziale Ungerechtigkeit‘ auseinandergesetzt und sowohl im Bachelor als auch im Master die Seminare so gewählt, dass die eigenen Erfahrungen um eine theoretische Perspektive erweitert werden konnten“, erklärt Danquah. Gesellschaftliche Missstände, ein Seminar während eines Auslandssemesters in Kopenhagen über Education and Development und ihre Lehrtätigkeit an der JMU im Bereich der rassismuskritischenBildungsarbeit haben sie dann darin bestärkt, ihre Masterarbeit in diesem Bereich zu schreiben.
Ein Inspirationsraum zur Interaktion
Eine Bibliothek als Lernort? Wer zuletzt in seiner Schulzeit eine öffentliche Bibliothek betreten und ein Buch ausgeliehen hat, könnte sich über diese Zuschreibung wundern. Tatsächlich haben sich Bibliotheken in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. „Früher wurde eine Bibliothek überwiegend als Informationsquelle genutzt. Heute dient sie vielfach als Inspirationsraum mit der Möglichkeit zur Interaktion und zum Austausch“, sagt Danquah.
Für ihre Studie hat sich die junge Wissenschaftlerin die Bibliothek des Berliner Vereins Each One Teach One (EOTO) genauer angesehen und Besucherinnen und Besucher interviewt. „Each One Teach One thematisiert seit seiner Gründung im Jahr 2012 öffentlich die mehrdimensionale Diskriminierung von Menschen afrikanischer Herkunft und fokussiert sich insbesondere auf die Selbstermächtigung, also das Empowerment Schwarzer Menschen“, schreibt dessen Geschäftsführerin Nadja Ofuatey-Alazard in ihrem Vorwort zu Danquahs Buch. Das Lernen im Sinne eines Lernens von- und miteinander spiele dabei eine zentrale Rolle.
Rassismuskritische Bücher in den Regalen sind ein wichtiges Element einer solchen Bibliothek. Dabei geht es zum einen darum, den Nutzerinnen und Nutzern Zugang zu einem Wissen zu verschaffen, das sonst nicht so leicht zugänglichgemacht wird. Zum anderen wird die Bibliothek damit zur Plattform für Autorinnen und Autoren, die in der Öffentlichkeit nicht sichtbar sind.
Stressfreier Aufenthalt im geschützten Raum
Eine gut sortierte Auswahl an thematisch geeigneten Büchern ist allerdings nur ein Aspekt, der eine Bibliothek zum rassismuskritischen Lernort macht. Genauso wichtig sei es, für eine „empowernde Atmosphäre“ zu sorgen. „Ich habe im Rahmen meiner Untersuchung Besucherinnen und Besucher der EOTO-Bibliothek gefragt, wie dieser Ort auf sie wirkt“, erklärt Danquah. Darauf hätten viele geantwortet, dass sie sich dort geborgen und bestärkt fühlen. „Einige haben gesagt, dass dies einer der wenigen Orte sei, an denen sich Schwarze Menschen stressfrei aufhalten können.“
„Die vorliegende Arbeit kann für die Schwarzen Communities in Deutschland als Möglichkeit der Gestaltung von Gemeinschaftsorten verstanden werden und dient gleichzeitig als Anregung für die Erschaffung neuer sowie die Umgestaltung bereits bestehender Lernorte“, schreibt Nadja Ofuatey-Alazard in ihrem Vorwort. Gerade die Interviewpassagen würden nachdrücklich zeigen, welchen Effekt eine rassismuskritische Ausrichtung von Lernorten – insbesondere Bibliotheken – auf Schwarze Menschen haben kann und wie dadurch Lernprozesse barriereärmer initiiert werden können. Die Studie lade zu einem gemeinsamen Lernen ein und eröffne neue Diskussionsdimensionen im Bereich einer rassismuskritischen Bildungsarbeit.
Blick auf Volkshochschulen
Jennifer Danquah ist ihrem Thema treu geblieben, und setzt sich nun mit rassismuskritischer Organisationsentwicklung auseinander. In ihrer Doktorarbeit untersucht sie, inwieweit Volkshochschulen rassismuskritische Aspektebeachten und entsprechende Maßnahmen umsetzen. Warum sie an dem Thema dran bleibt? Klare Antwort: „Eine kritische Erwachsenenbildung ist wichtig für das gesellschaftliche Miteinander.“
Jennifer Danquah: Die öffentliche Bibliothek als rassismuskritischer Lernort für Erwachsene.
Mit einem Vorwort von Nadja Ofuatey-Alazard. 114 Seiten, ISBN:978-3-7799-7288-4. 28,00 Euro, als E-Book/PDF 25,99 Euro.
Kontakt: Jennifer Danquah, jennifer.danquah@uni-wuerzburg.de