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Frühförderung als ein Dienst an der Gesellschaft

Blindeninstitutsstiftung fördert seit 50 Jahren blinde und sehbehinderte Kinder

Würzburg: Noch vor etwas mehr als 50 Jahren gab es für Eltern behinderter Kinder im Vorschulalter keine Anlaufstelle, die sie bei Fragen rund um deren Behinderung im Alltag unterstützte. 1968 bot die Blindeninstitutsstiftung in Würzburg den Eltern blinder und sehbehinderter Kleinkinder erstmals Beratung und Förderung an - ohne dass es dafür einen ge-setzlichen Rahmen gab. Bei einer Jubiläumsfeier am 30. November 2018 feierte die Stiftung nun das 50-jährige Bestehen der Frühförderung Sehen, die inzwischen mehr als 800 Kinder in Bayern und Thüringen unterstützt.

 

"Sie haben damals nicht gewartet bis Sie den staatlichen Auftrag bekommen haben, Sie haben den Bedarf gesehen und einfach gehandelt", lobte Karlheinz Vollrath, Koordinator der Frühförderung Sehen, die im Publikum anwesenden Pädagoginnen und Pädagogen und den früheren Stiftungsdirektor Dr. HansNeugebauer. Denn sie hatten sich bereits 1968 dafür entschieden, blinde und sehbehinderte Kinder im Vorschulalter zu fördern, ohne dass es eine gesetzliche Grundlage dafür gab. Vor rund 150 Gästen warf Vollrath einen Blick zurück auf die Geschichte der Frühförderung der Blindeninstitutsstiftung. Erst sechs Jahre später legte das Bayerische Kultusministerium 1974 mit einem Erlass den Grundstein für den Aufbau einer Frühförderung von Vorschulkindern. Mehrere Modellversuche sollten die pädagogischen und strukturellen Rahmenbedingungen für die Praxis untersuchen.Unter wissenschaftlicher Begleitung führte auch die Blindeninstitutsstiftung zwischen 1976 und 1980 einen Modellversuch durch, der das Unterstützungsangebot auf ganz Bayern ausweitete. Um die Anfahrtszeiten zu verkürzen, eröffnete die Stiftung in den folgenden Jahrzehnten Frühförderstellen in Nürnberg, München, Regensburg, Kulmbach, Niedernberg und ab 1997 auch in Schmalkalden und Erfurt in Thüringen.

 

Stärkung der Familien ist wichtige gesellschaftliche Aufgabe
Auf die gesellschaftliche Bedeutung der Frühförderung ging die Behindertenbeauftrage des Bezirks Unterfranken Karin Renner in ihrem Grußwort ein: "Was die Frühförderung für die Familien tut, tut sie für uns alle." Denn die Familien seien die Keimzellen unserer Gesellschaft. Sie zu stärken, sei eine wichtige Aufgabe. Dass die Erfolgsgeschichte der Frühförderung Sehen ganz eng mit den Biographien der Kinder verknüpft ist, die sie ein kleines aber prägendes Stück ihres Lebensweges begleitet, stellte die junge Musikerin Lea Maschotta unter Beweis. Begleitet von Markus Rummel am Klavier verlieh die auf einem Auge blinde Studentin der Veranstaltung mit drei Stücken auf der Klarinette den würdigen Rahmen.Wie sie in einem Interview mit ihr und KatjaGibson, ihrer ehemaligen Frühförderin, klarstellte, spiele ihre Sehbeeinträchti-gung im Alltag keine große Rolle mehr. Nach drei Jahren auf einem Musikgymnasium in Weimar und einem Schuljahr an einer High School in den Vereinigten Staaten, für das sich Lea Maschotta im Rahmen des Parlamentarischen Patenschaftsprogramms qualifiziert hatte, studiert sie nun Internationale Betriebswirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. "Nach dem Studium möchte ich gerne Diplomatin werden", steckte die junge Frau ihr nächstes Ziel ab.

 

Neue Herausforderungen für die Frühförderung
Frank Laemers von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Experte für die Frühförderung Sehen, hob in seinem Festvortrag den "bayerischen Input" für die bundesweite Fortbildung von Frühförderern hervor. Die in der Blindeninstitutsstiftung entwickelten Fördermaterialien wie die "Würzburger Diaserie zur visuellen Stimulation" oder die Gründung des Fachverlags edi-tion bentheim seien wichtige Meilensteine gewesen. Als aktuelle Herausforderung für die Frühförderung Sehen benannte der Blinden- und Sehbehindertenpädagoge Laemers unter anderem das Fehlen eines kostenlosen Sehscreenings für Kleinkinder, wie es dies zum Beispiel für das Hören gibt.

 

Auch die Zusammenarbeit mit den Familien habe sich dadurch verändert, dass viele Eltern nach der Geburt eines Kindes früher ins Berufsleben zurückkehrten. Zum Teil hätten die Eltern auch selbst mit herausfordernden Situationen wie Armut oder psychischen Belastungen zu kämpfen. "Aktuelle Studien belegen, dass die psychische Stabilität der Eltern und die Eltern-Kind-Interaktionen einen ebenso bedeutsamen Einfluss auf die kindliche Entwicklung wie die Behinderung selbst haben," erläuterte Laemers. Auch aus Elternumfragen werde deutlich, dass sich Eltern oft noch mehr Hilfen zur persönlichen Stärkung und emotionalen Unterstützung wünschten.

 

Sehbeeinträchtigung ist mehr als eine weitere Einschränkung
Dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit den Erfahrungen in der Praxis zum großen Teil übereinstimmen, bestätigte Katja Gibson, Leiterin derFrühförderung Sehen im Blindeninstitut Thüringen, in ihrem Resümee über die zurückliegenden 50 Jahre. Die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern sei genauso wichtig wie die interdisziplinäre Arbeit innerhalb der Frühförderteams und mit allen das jeweilige Kind begleitenden Stellen wie Ärzte, Therapeuten und Erzieher.

 

Dabei stellte sie wie vorher schon Frank Laemers auch klar, dass die Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit von mehrfachbehinderten Kindern nicht nur eine weitere Einschränkung darstelle, sondern eine Potenzierung. In einer von visuellen Eindrücken geprägten Welt, wirke sich eine Beeinträchtigung des Sehens ohne entsprechende Förderung leicht auf andere Entwicklungsbereiche der Kinder aus.

 

"Die Frühförderung Sehen ist das inklusivste Angebot, das ich kenne", betonte Stiftungsvorstand Johannes Spielmann die mobile Ausrichtung des Dienstes. Denn die Kolleginnen und Kollegen unterstützten die Kleinkinder und deren Familien bei ihnen zuhause oder in den Kindertageseinrichtungen vor Ort. Dass die Frühförderung auf Augenhöhe stattfinde, erkläre, warum auch noch 50- oder 60-jährige Frühförderinnen mit den Kindern auf dem Boden "krabbeln". Das illustriere das große Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für das sich Spielmann herzlich bedankte.