- Landratsamt Würzburg -
Wenn sich das gut 25 Meter lange Gespann in Bewegung setzt, dreht sich so mancher Kopf nach ihm um. Führerhaus, ein Sattelauflieger mit gelenkter Achse und daran ein weiterer Anhänger: Rund sieben Meter überragt das Gespann einen üblichen Lkw. Kolosse wie dieser sind auf den Straßen rund um Würzburg aber noch selten zu sehen, denn der Einsatz von Lang-Lkw ist in Deutschland eingeschränkt. Allerdings bieten sie einige Vorteile, wie Landrat Thomas Eberth und eine Abordnung der Straßenverkehrs- und Zulassungsbehörde des Landkreises Würzburg kürzlich erfuhren. Die Delegation aus dem Landratsamt hat einen in der Region genutzten Lang-Lkw begutachtet und bei einer Testfahrt dessen Funktionsweise unter die Lupe genommen.
Die Ausnahme sind die Fahrzeuge mit Überlänge deswegen, weil diese ausschließlich auf sogenannten „Positivstrecken“ fahren dürfen, erklärt Oliver Herbert kurz bevor er in das Führerhaus einstieg. Herbert ist der Abteilungsleiter Kommissionierung und Lkw-Fuhrpark bei der Gries Deco Company – allgemein bekannt als Anbieter für Wohnmöbel und Einrichtungsartikel mit der Marke Depot. Der Einsatz der Straßenkreuzer ist nur auf Verkehrswegen erlaubt, die für deren Einsatz aufgrund von Breite, Ausbau und Beschaffenheit geeignet sind. Im Landkreis Würzburg sind dies vor allem die Autobahnen A3 und A7 sowie Teile der angrenzenden Bundes-, Kreis und Staatsstraßen. In der Regel ausschließlich die Zufahrten zu den hiesigen Gewerbegebieten. Die Strecke an diesem Tag führte von der A3 Raststätte Würzburg Süd bis zur Depot-Niederlassung im Gewerbegebiet Rottendorf.
Den Einsatz prüft die Straßenverkehrs- und Zulassungsbehörde am Landratsamt in Kooperation mit Experten der Polizei und des Staatlichen Bauamts ab. Sind bestimmte Strecken oder einzelne Straßenabschnitte noch nicht für Lang-Lkw freigegeben, können Unternehmen diese als Positivstrecke vorschlagen. Nach Prüfung durch die Autobahn GmbH des Bundes und die Länder wird das Streckennetz regelmäßig vom Bundesverkehrsministerium aktualisiert. Zum Teil sind auch Befahrungen von Straßenabschnitten nötig, wie Norbert Hart, Leiter des Fachbereichs am Landratsamt Würzburg erklärt.
Prüfung ergab: Kraftstoffersparnis von 15 bis 25 Prozent
Die Vorteile lägen auf der Hand, so Oliver Herbert. Er kann seinen 25 Meter langen Lkw etwa mit 51 statt der sonst 33 Paletten beladen. Zwei Fahrten des Lang-Lkw ersetzen also drei Fahrten mit herkömmlichen Lkws. Das bedeutet: Das etwas höhere Eigengewicht der Lang-Lkw eingerechnet spart er rund 20 Prozent Kraftstoff dazu Zeit und Personal. Die Erfahrungen des Unternehmens decken sich also mit denen aus einem fünfjährigen Feldversuch des Bundes. Von 2012 bis Ende 2016 war der Einsatz von Lang-Lkw getestet worden, bei dem die Chancen und Risiken dieser neuen Nutzfahrzeugkonzepte untersucht wurden. Erst seit Januar 2017 dürfen Lkw mit einer Länge von bis zu 25,25 Metern auf einem vorgegebenen Streckennetz in Deutschland fahren.
Einsatz im Landkreis Würzburg bisher problemlos
Die Kritik, dass die Groß-Gespanne durch größeres Gewicht Straßen und Brücken mehr belasten würden und mehr Logistik statt auf die Schiene auf die Straße brächten, will Herbert allerdings nicht stehen lassen. Ganz im Gegenteil: Bislang sind die Lang-Lkw wie ihre etwas kürzeren Verwandten auf 40 Tonnen Gesamtgewicht beschränkt. Die größere Ladefläche lasse aber den Transport einer größeren Anzahl von leichtgewichtigen oder sperrigen Waren auf einmal zu. Dabei wird die Ladung selbst geschont aber auch Fahrzeuge und die Straßenbeläge, da das vorhandene Gewicht auf mehr Achsen verteilt ist.
Da der Lang-Lkw von Gries Deco derzeit hauptsächlich nachts fährt und weitere Einschränkungen wie etwa ein generelles Überholverbot und die Anbringung zusätzlicher Rückfahrkameras greifen, gebe es bisher kaum Auswirkungen auf den bestehenden Verkehr. „Tatsächlich führt der Einsatz von Lang-Lkw zu einer Wenigerbelastung des Straßenbelags und des Verkehrs“, ist sich Oliver Herbert sicher. „Wir haben bisher nirgends Schwierigkeiten.“
Ressourcenschonend und ein Baustein gegen den Fachkräftemangel
Neben der geringeren Anzahl an Fahrten und der damit verbundenen Kraftstoff- und CO2-Einsparung, hofft Herbert, dass er damit auch dem immer deutlicher spürbaren Fahrermangel begegne – zumindest ein Stück weit. Im Herbst 2021 waren in Großbritannien etwa die Regale in Supermärkten leer gestanden, weil nicht genügend Lkw-Fahrer die Güter rechtzeitig transportieren konnten. Davon sei man zumindest in seinem Unternehmen zwar noch weit entfernt, so die Einschätzung Herberts. Allerdings könne man trotz guter Rahmenbedingungen und angebotener Ausbildung nur noch wenige junge Menschen für den Beruf begeistern.
Landrat Thomas Eberth sieht die Lang-Lkw als große Chance insgesamt, aber gerade auch für die Unternehmen im Landkreis Würzburg. „Die Menschen kaufen in großen Discountern ein, wollen in Kaufhäusern immer volle Regale und über Nacht bestellen. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, müssen wir in der Gesellschaft offen für neue Technologien und Wege sein - gerade im Kontext des in vielen Bereichen vorhandenen Fachkräftemangels“, so der Landrat. Auch wenn die Verlagerung von Logistik auf die Schiene grundsätzlich erstrebenswert sei, könnten gerade in der Fläche nicht alle Unternehmen über ein Schienennetz bedient werden. Die Vorteile der Lang-Lkw seien bei einer warengebundenen dezentralen Logistikstruktur in Deutschland klar ersichtlich.
Die Testfahrt an diesem Tag fiel positiv aus: Sowohl die Fahrt auf der Autobahn A3 als auch im Gewerbegebiet Rottendorf inklusive Wendemanövern verlief reibungslos. Landrat Thomas Eberth erlebte die Fahrt als Beifahrer im Führerhaus des Lkw mit und lobte Oliver Herbert: „Trotz aller unterstützenden Technik hat der Fahrer den Lenker sicher in der Hand und die Fahrt hat einwandfrei geklappt.“ Auch die Experten waren sich einig: Dieser Streckenabschnitt soll auf die Liste der Positivstrecken aufgenommen werden.