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Hier wird immer nett bedient

Das Alzenauer „tegut-Lädchen für alles“ der AWO hat sich in der Krise bestens bewährt

ALZENAU - Wer hat schon einen Job, zu dem er ohne Wenn und Aber Ja sagen kann. Oft passt zumindest eine Kleinigkeit nicht ganz. Judith Tenbrink hat so eine Traumstelle gefunden: Seit fünf Jahren arbeitet die junge Frau aus Mömbris im Alzenauer „tegut-Lädchen für alles“ der AWO. Das tut sie als sogenannte Inklusionsmitarbeiterin: Judith Tenbrink hat leichte Handicaps, die es ihr schwermachen, einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Rechts trägt sie ein Hörgerät: „Außerdem bin ich etwas langsamer als andere.“ Ob sie es wohl vermag, in einem Laden zu bedienen? Wird sie mit der Kasse fertig? Und werden die Kunden nett zu ihr sein? Als Judith Tenbrink im Oktober 2015 in ihren neuen Job einstieg, waren die Ängste groß. Zu Beginn klappte auch vieles nicht. Doch niemand war böse. Fehler zu machen, ist in einem Inklusionsunternehmen erlaubt. Auch wird genug Zeit gelassen, alles zu lernen, was notwendig ist. So tauchte die heute 25-Jährige ganz allmählich in die Kunst des Einzelhandels ein. Sie lernte die verschiedenen Tasten der Kasse kennen. Erfuhr, was man wie eintippt. Und wie man Prozente berechnet. In der Zwischenzeit ist all das für Judith Tenbrink Routine. „Es läuft nun wie am Schnürchen“, sagt die Verkäuferin stolz. Dass Tenbrink die Chance erhielt, all das zu erlernen, was sie heute kann, hat sie der Arbeitsagentur zu verdanken. Weil sie nach der Hauswirtschaftsschule keinen Job hatte, wandte sich Tenbrink an eine Arbeitsvermittlerin. Die erkannte, dass sich die junge Frau, obwohl sie ein sehr einnehmendes Wesen hat, auf dem Arbeitsmarkt schwertun würde. Und verwies sie an den Integrationsfachdienst der AWO (IFD) in Aschaffenburg, der Menschen mit jeder Art von Handicap hilft, einen Job zu bekommen. Der IFD stellte dann auch den Kontakt zum AWO-Lädchen in Alzenau her. Weil Inklusion in der Arbeitswelt noch eine soziale Utopie ist, braucht es Projekte wie das Alzenauer Lädchen, das der Bezirksverband der Arbeiterwohlfahrt Unterfranken mit dem Lebensmittelversorger tegut vor fünf Jahren auf den Weg brachte. „Gerade der Einzelhandel eignet sich sehr gut dafür, Menschen mit einer seelischen Einschränkung zu integrieren“, sagt Viola Zierold, die das Lädchen von Anfang an leitet. Als sie vor fünf Jahren in den Inklusionsbetrieb der AWO einstieg, betrat auch sie Neuland. Zierold hatte bis dahin noch nie Inklusionsmitarbeiter gehabt. Doch sie fand sich schnell in ihre Aufgabe hinein. Das also ist eine Physalis Auch für Judith Tenbrink tat sich eine neue Welt auf: Mehrere der 3.500 Produkte, die es im „tegut-Lädchen für alles“ zu kaufen gibt, waren ihr unbekannt. „Ich wusste zum Beispiel nicht, wie Physalis oder Feigen aussehen“, sagt sie. Neu waren aber natürlich vor allem auch die Kundinnen und Kunden. Doch wegen ihrer sympathischen Art fand Tenbrink nach kurzer Zeit einen guten Draht zu den Menschen, die regelmäßig im Lädchen einkaufen. Da ist zum Beispiel die ältere Dame, die immer mit ihrem Rollator kommt: „Wir unterhalten uns fast jedes Mal.“ Die Dame erzählt, wie es ihr im Moment geht. Und wie sie die Corona-Krise erlebt hat. Nicht nur diese Dame ist eine treue Kundin, verrät Viola Zierold:„Viele Menschen kommen in Alzenau ganz bewusst zu uns, weil sie unser Lädchen unterstützen wollen.“ Gerade in der Corona-Krise gelang es deshalb sogar, den Umsatz zu steigern.

 

Leichte Irritationen gab es allenfalls in der Anfangszeit. „Mehrere Kunden hatten nicht gewusst, dass wir ein Inklusionsunternehmen sind“, erzählt die Chefin von Judith Tenbrink und zwei weiteren Inklusionsmitarbeitern. Nahm Viola Zierold fragende Blicke wahr, folgte sie den Kunden dezent vor die Türe: „Dort habe ich erklärt, warum unsere Mitarbeiter für manches ein bisschen länger brauchen.“ Der Glaube, dass Menschen mit Handicap nichts leisten können, ist barer Unsinn, beweist das Projekt der AWO. Gerade Männer und Frauen mit Einschränkungen sind oft hochmotiviert. So auch Judith Tenbrink. Rund um das tegut-Lädchen gibt es nichts, was die 25-Jährige nicht gern machen würde. Tenbrink kassiert. Sie schaut im Obstregal nach, ob die Früchte in Ordnung sind. Oder sie begibt sich in den Cafébereich, um Brötchen zu belegen. Sogar das Reinigen macht ihr Spaß: „Genau das habe ich ja in der Hauswirtschaftsschule gelernt.“ Gerade in der Corona-Krise, die als sehr intensive Zeit erlebt wurde, bewährten sie und die anderen Inklusionsmitarbeiter sich hervorragend. Judith Tenbrink möchte keinen Job, wo man ständig am Schreibtisch sitzen muss. Auch eine Tätigkeit in einer Werkstatt für Menschen mit einer seelischen Beeinträchtigung käme für sie nicht in Frage. Die junge Frau aus Mömbris möchte „ganz normal“ und mitten im Leben beschäftigt sein. Sozialversicherungspflichtig, wie alle anderen. Sinnvoll. Und mit Kontakt zu netten Kolleginnen und Kollegen. „Mit allen aus unserem Team komme ich sehr gut aus“, schwärmt sie. Jeden Montag freut sie sich, ihre Kollegen zu sehen. Und natürlich die Kunden. Die sie immer nett und gut gelaunt bedient.

 

Judith Tenbrink steht bei den Kunden des Alzenauer „tegut-Lädchen für alles“ der AWO hoch im Kurs.

Fotos: Stefana Körner AWO