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Landsmannschaft der Deutschen aus Russland zum Schicksalstag der Deutschen aus Russland* – 28. August.

Stuttgart   Für Deutsche aus Russland ist der 28. August das traurigste Datum ihrer jahrhundertelangen Geschichte und zugleich auch der Schicksalstag der ganzen Bevölkerungsgruppe. Der Tag, der ihr Vertriebenen-Schicksal bestimmte und den Beginn ihrer leidvollen Odyssee markierte: rund 900.000 Deutsche wurden in der Sowjetunion von Stalins Regime zwangsumgesiedelt, 150.000 kamen dabei ums Leben. Ca. 4,5 Millionen Nachkommen der deportierten Deutschen aus Russland leben zur Zeit in Deutschland, fast 2,4 Millionen kehrten aus der Sowjetunion und den Nachfolgestaaten als Aussiedler oder Spätaussiedler nach Deutschland zurück.

 

Am 28. August 1941, zwei Monate nach Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges, veröffentlichte das Präsidium des Obersten Sowjets der Sowjetunion den verleumderischen Erlass „Über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen“. Letztendlich wurde dieser Tag zum Schicksalstag nicht nur Wolgadeutschen, sondern der ganzen Bevölkerungsgruppe der Deutschen in der damaligen Sowjetunion – ganz gleich, ob sie an der Wolga, am Dnjepr oder am Don, am Schwarzen Meer, auf der Krim oder im Kaukasus, in Wolhynien, in den Städten oder in Streusiedlungen wohnten.

 

Seit 1982 ist der 28. August der Gedenktag der Russlanddeutschen, an dem an die Deportation der Deutschen in der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs und die darauffolgenden Geschehnisse erinnert wird. Auch die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland gedenkt alljährlich mit Gedenkveranstaltungen auf Bundes-, Länder- und Ortsebene an den Schicksalstag der Volksgruppe.

 

Der Tag wurde eher symbolisch bestimmt, da die Verfolgungen, denen die Deutschen in der UdSSR ausgesetzt waren, sich nicht allein auf dieses Datum beziehen. Sie haben vielmehr bereits wesentlich früher begonnen und dauerten noch Jahre danach an. Es gab damals Dutzende weiterer Erlasse und Befehle, Verfügungen und Anordnungen, die deren Deportation regelten.

In diesem geheimen und verleumderischen Erlass wurden die Deutschen in der Wolgarepublik ohne jeden Grund beschuldigt, Feinde des Sowjetvolkes und der Sowjetmacht, Saboteure und Spione in ihrer Mitte zu verstecken. Diese, so der Erlass, würden auf Befehl aus Deutschland Anschläge vorbereiten.

 

„Laut genauen Angaben, die die Militärbehörden erhalten haben, befinden sich unter der in den Wolgarayons wohnenden deutschen Bevölkerung Tausende und Abertausende Diversanten und Spione, die nach dem aus Deutschland gegebenen Signal Explosionen in den von den Wolgadeutschen besiedelten Rayons hervorrufen sollen. Über das Vorhandensein einer solch großen Anzahl von Diversanten und Spionen unter den Wolgadeutschen hat keiner der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen, die Sowjetbehörden in Kenntnis gesetzt, folglich verheimlicht die deutsche Bevölkerung der Wolgarayons die Anwesenheit in ihrer Mitte der Feinde des Sowjetvolkes und der Sowjetmacht“, so der Erlass.

 

Was dann 1941 geschah, mussten Hunderttausende Deutsche in der Sowjetunion am eigenen Leib verspüren: Auflösung aller deutschen kulturellen Einrichtungen, Schließung oder Umprofilierung von Bildungsstätten, Verbot des Unterrichts in deutscher Sprache und viel schlimmer – Vertreibung, Zwangsarbeit unter unmenschlichen Bedingungen, mörderische Kälte, Hunger und Tod.

 

Die Verbannung der deutschen Diasporagruppen aus dem übrigen europäischen Teil der Sowjetunion erfolgte in den darauffolgenden Wochen und Monaten auf geheime Beschlüsse des Staatlichen Verteidigungskomitees (GKO) sowie auf Befehle des NKWD und der Kriegsräte einzelner Fronten hin. In einigen Fällen wurde die Anordnung über die Ausweisung durch den Rat der Volkskommissare der Sowjetunion oder die jeweilige Unionsrepublik verfasst. In der darauffolgenden Zeit zettelte das Kommissariat des Inneren eine regelrechte Jagd auf Sowjetbürger deutscher Herkunft an, um die noch nicht registrierten Personen zu erfassen und abzuschieben.

 

Deutsche in der ehemaligen Sowjetunion wurden aus dem europäischen Teil des Landes nach Sibirien, Kasachstan und Mittelasien deportiert und fast 15 Jahre lang in Sondersiedlungen, in der „Trudarmee“, in Straflagern und in Gefängnissen festgehalten. Hunderttausende von ihnen starben den Hungertod, erlagen ihren Verletzungen oder trugen bleibende gesundheitliche Schäden davon. Unsere Volksgruppe hat ihre historisch gewachsenen Siedlungen, das persönliche und kollektive Eigentum, alle Kultur- und Bildungseinrichtungen für immer verloren.

 

Auch heute noch prägen die Begriffe wie Deportation, Sondersiedlung und Arbeitsarmee das Leben dreier Generationen der – der unmittelbar Betro­ffenen, ihrer Kinder und Enkel. Jede russlanddeutsche Familie hatte Opfer der Willkürherrschaft in der Sowjetunion zu beklagen. Für die Deutschen in der Sowjetunion war der deutsch-sowjetische Krieg eine Katastrophe, die einen jahrzehntelangen Opfergang der Volksgruppe heraufbeschwor.

 

Die Zwangsumsiedlung, die sich schließlich in der Vertreibung zementierte, blieb nicht auf die Wolgadeutschen beschränkt. Auch die Deutschen auf der Krim, in Teilen der Ukraine und im Kaukasus sowie in den Gebieten Leningrad, Moskau oder Rostow am Don erlebten das gleiche Schicksal. Zehntausende starben einen qualvollen Hunger- und Schwächetod während der Deportation, in den Konzentrationslagern der Arbeitsarmee im Hohen Norden, in den Bergwerken des Urals und Sibiriens, in den Wäldern der Taiga und in den Sandwüsten Mittelasiens. Den menschlichen Verlusten folgte der Verlust der Sprache, Kultur und nationalen Identität.

So der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Johann Thießen: „Kaum eine deutsche Familie wurde damals von den Maßnahmen der Massenvernichtung in der Sowjetunion Stalins verschont. Viele der heute Lebenden mussten es zwar nicht am eigenen Leib erleben, aber sie kennen das Unmenschliche aus den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern. Und sie können ihre Tränen nicht zurückhalten, wenn Zeitzeugen darüber berichten.“

Die traditionelle zentrale Gedenkfeier der LmDR e.V. in Friedland (diesmal mit Schwerpunkt auf "260 Jahre Einladungsmanifest der Zarin Katharina II. vom 22 Juli 1763") findet am 2. September 2023 ab 14:00 Uhr statt.

 

*Deutsche aus Russland bilden die Bevölkerungsgruppe, die nach dem Aufruf von Zarin Katharina II. und ihres Enkels Alexander I. aus deutschen Ländern in den Russischen Reich im 18.-19. Jahrhundert auswanderten und dort deutsche Kolonien gründeten. In 80er und 90er Jahren 20. Jahrhundert zogen viele ihrer Nachfolger als Spätaussiedler nach Deutschland, in ihre historische Heimat, zurück.

Oelbild Viktor Hurr Deportation 1941

Zeichnung Viktor Hurr