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Nachmittag des Erinnerns

Skulptur erinnert an NS-Verbrechen im Blindeninstitut

WÜRZBURG

Eine Skulptur aus Stahlringen erinnert auf dem Gelände der Blindeninstitutsstiftung an ein dunkles Kapitel ihrer Geschichte: Mit Wissen, Willen und Einverständnis einzelner Leitungsverantwortlicher wurden junge blinde Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus zwangssterilisiert. Bei einem Nachmittag des Erinnerns (am 8. September 2021) gedachten Stiftungsvertreter und rund 50 geladene Gäste bei der Vorstellung des Erinnerungsmals an die Opfer.

 

„Geschehenes Unrecht können wir nicht mehr gut machen“, sagte Stiftungsvorstand Johannes Spielmann zu Beginn der Veranstaltung, „aber es gibt den Opfern ein Stück ihrer geraubten Würde zurück, wenn wir anerkennen, was ihnen durch Ärzte angetan wurde.“ Deshalb ist auf dem Erinnerungsmal der erste Satz des Grundgesetzes zu lesen – sowohl in erhabener, tastbarer Schrift als auch in Punktschrift: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Der Anlass für diesen Schritt der Verantwortungsübernahme war eine umfassende Stiftungschronik über die Blindeninstitutsstiftung, die Anfang des Jahres von Dr. Wolfgang Drave und Dr. Hans Neugebauer herausgegeben worden ist. Sie enthält Ausschnitte des ehemaligen Schülers Siegfried G., der selbst zwangssterilisiert worden war.

 

Weil wir ja wussten, dass diese Hunde nicht nachgeben“

Eindrucksvoll schildert er in dem Interview, aus dem Dr. Wolfgang Drave bei der Gedenkveranstaltung vorlas, dass der Druck von damaligen Leitungsverantwortlichen auf die jungen Menschen im Blindeninstitut letzten Endes zu groß war: „Weil wir ja wussten, dass diese Hunde nicht nachgeben“, so der Zeitzeuge – und weiter: „Wenn es einmal heißen sollte, die Blinden in der Blindenanstalt hätten sich freiwillig gemeldet, dann werden wir die Öffentlichkeit eines andern belehren.“

Dass es auch Leitungsverantwortliche gegeben hat, die gegen die nationalsozialistischen Anordnungen gekämpft haben, belegt ein Zeugnis der Tochter des Direktors Georg Dees, das Stiftungsvorstand Dr. Marco Bambach vortrug. Demnach hat es Dees in einem Fall geschafft, einen jungen Menschen vor der Zwangssterilisation zu bewahren.

 

Etwa 1.000 Zwangssterilisationen an der Uniklinik Würzburg

Die Skulptur, die an diese Würdeverletzung erinnert, besteht aus mehreren ineinander verschlungenen Ringen aus Cortenstahl und ruht auf einem Fundament aus Kirchheimer Muschelkalk. Sie trägt den Titel „Zusammenhalt“ und wurde vom Kleinrinderfelder Bildhauer Kurt Grimm gefertigt, der sie an ihrem Bestimmungsort im Blindeninstitut in der Ohmstraße in Würzburg den Gästen vorstellte.

Kulturreferent Achim Könneke bezeichnete in seinem Grußwort den „heutigen Tag“ als einen Meilenstein der Erinnerungskultur der Stadt Würzburg: „Die Blindeninstitutsstiftung stellt sich ihrer historischen Verantwortung und setzt deutliche Zeichen“. Rund 1.000 Zwangssterilisationen seien allein an der Universitätsklinik Würzburg durchgeführt worden, „wo mit Dr. Walter Heyde einer der Protagonisten der menschenverachtenden sogenannten Rassenhygiene tätig war“. Aus Respekt vor den Opfern gelte es, trotz der schwierigen Aktenlage die damaligen Vorgänge weiter wissenschaftlich aufzuarbeiten.

 

Weiße Rosen für die Opfer von Zwangssterilisationen

Bevor die Gäste weiße Rosen zum Gedenken an die Opfer der Zwangssterilisationen unter der musikalischen Begleitung von Maggie Niebler und Markus Rummel am Erinnerungsmal niederlegten, mahnte Stiftungsvorstand Dr. Marco Bambach mit dem Gedicht „Erinnert Euch“, geschehenes Unrecht nicht zu vergessen.

Im zweiten Teil des Nachmittags stand die Stiftungschronik im Mittelpunkt. Auf 640 Seiten erzählt das Buch „Die Blindeninstitutsstiftung. Ihre Geschichte“, wie sich die Stiftung von der ersten Blindenschule für sechs Kinder in Unterfranken im Jahr 1853 zu einem modernen Sozialunternehmen mit rund 2.500 Beschäftigten entwickelte.

 

BU 01: Skulptur erinnert an NS-Verbrechen im Blindeninstitut 02: Von links: Johannes Spielmann (Vorstand der Blindeninstitutsstiftung), Dr. Gabriele Hitzlberger (stellvertr. Stiftungsratsvorsitzende), Dr. Wolfgang Drave (Herausgeber der Stiftungschronik), Kurt Grimm (Bildhauer und Künstler), Dr. Eugen Ehmann (Regierungspräsident von Unterfranken), Dr. Marco Bambach (Vorstand der Blindeninstitutsstiftung), Walter Herberth (Vorsitzender des Stiftungsrats). 03: Die Gäste legten weiße Rosen zum Gedenken an die Opfer von Zwangssterilisationen im Blindeninstitut während der Zeit des Nationalsozialismus nieder. 04: Achim Könneke (Leiter des Referats für Kultur und Tourismus, Stadt Würzburg) bezeichnete die Veranstaltung als „Meilenstein in der Erinnerungskultur“ der Stadt Würzburg. 05: Dr. Christian Graf zu Bentheim-Tecklenburg-Rheda ist der Ururenkel des Gründers der Blindeninstitutsstiftung. Fotos: Blindeninstitutsstiftung