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„Regeln der deutschen Sprache einhalten“ beschließt eine Mehrheit aus CDU und AFD im Thüringer Landtag

„Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“ kontert der Dettelbacher Landtagskandidat der Grünen, Prof. Dr. Wolfgang Lenhard

Dettelbach

„Gendern? Nein Danke!“ – unter dieser Überschrift stimmte der Thüringer Landtag Mitte November mit einer Mehrheit aus CDU, AfD und den „Bürgern für Thüringen“ für einen Antrag der thüringischen CDU-Fraktion. In diesem Antrag wurde Landtagspräsidentin Birgit Pommer (DIE LINKE) gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass in öffentlichen Dokumenten „keine grammatisch falsche Gendersprache“ verwendet wird. Verantwortlich für die Regeln der deutschen Sprache sei „ausschließlich der Rat für deutsche Rechtschreibung“, so die CDU-Fraktion in ihrem Antrag, und dieser habe verkürzte Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen nicht zur Aufnahme in das Regelwerk der deutschen Sprache empfohlen. Mit dem „Zwang zur gegenderten Sprache“ grenze man außerdem Menschen, die nicht richtig lesen können, genauso aus wie integrationswillige Migranten, Menschen mit Seh- oder Hörbehinderung sowie alle, die auf „Leichte Sprache“ angewiesen seien.

„Lebendige Sprache zeichnet sich durch […] einer (sic!) gesellschaftlichen Akzeptanz Ihrer Regeln aus“, ist in dem Dokument zu lesen. Dass die CDU just in jenem Antrag, der die Einhaltung der deutschen Grammatik zum Inhalt hat, fälschlicherweise den Dativ statt des Akkusativs verwendet, hält der Dettelbacher Ortssprecher für Bündnis 90/Die Grünen und Direktkandidat für den Bayerischen Landtag, Prof. Dr. Wolfgang Lenhard, dabei nur für ein amüsantes Detail am Rande. Weitaus skurriler erscheint es ihm, dass die rechten Parteien im Thüringer Landtag ausgerechnet beim Thema „Gendern“ ihr Herz für Migranten und Menschen mit Behinderung entdeckt haben wollen. Schriftspracherwerb ist eines der Hauptforschungsgebiete des Psychologen und Sonderpädagogen, der am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie an der Uni Würzburg forscht und lehrt. Speziell mit dem Thema der Sprachverständlichkeit hat sich Lenhard auseinander gesetzt und sogar selbst Software programmiert, mit der man die Komplexität von Sprache anhand des sogenannten Lesebarkeitsindex LIX bewerten kann. Just beim Antrag der CDU fällt die Lesbarkeit mit einem LIX von 67.12 jedoch sehr schlecht aus. Der Text sei mit einer durchschnittlichen Satzlänge von über 22 Wörtern und einem Anteil von über 44 % langer Wörter extrem weit von einer einfach verständlichen Sprache entfernt, sagt der Wissenschaftler. „Ein Gender-Doppelpunkt würde bei einer solch schwer lesbaren Sprache das Kraut ganz sicher nicht mehr fett machen“, so Lenhard. Die Sorge um die Verständlichkeit der Sprache hält der 48-jährige Grünen-Politiker deshalb für vorgeschoben.  

Auch an anderer Stelle scheinen die Christdemokraten die Regeln, auf deren Einhaltung sie im Antrag so streng pochen, für sich selbst nicht ganz so eng zu interpretieren. So fordern sie beispielsweise einen „entspannteren Umgang“ mit der Verwendung des generischen Maskulinums. Dabei hat der Rat für deutsche Rechtschreibung, auf den sich der Antrag als alleinige Instanz zur Formulierung der deutschen Rechtschreibregeln beruft, in seiner Empfehlung vom März 2021 explizit betont, dass „allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll“. Lediglich die verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Ausdrücke, also z. B. „Gender-Stern“ oder „Gender-Gap“, hat der Rat aktuell (noch) nicht zur Aufnahme in das amtliche Regelwerk empfohlen. Wissenschaftlich sei es extrem gut belegt, dass das generische Maskulinum gerade nicht den Anforderungen des Rechtschreibrats nach geschlechtergerechter Sprache genügt, sagt Lenhard. So publizierte sein Chef und Kollege, der renommierte Kognitionsforscher Prof. Dr. Tobias Richter, erst letztes Jahr zusammen mit Wissenschaftlerinnen der Uni Darmstadt eine Studie, in der nachgewiesen wurde, dass Frauen bei Verwendung des generischen Maskulinums eben doch bedeutsam weniger „mitgedacht“ würden als Männer.

Er selbst vermeide im Übrigen verkürzte Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Ausdrücke in der geschriebenen Sprache meistens, sagt Wolfgang Lenhard, finde es aber an manchen Stellen schlicht und ergreifend sehr praktisch und platzsparend. Bisher habe ihn an der Hochschule jedoch noch niemand dazu gezwungen, genau solche Formen zu verwenden. Auch in seiner Funktion als Grünen-Politiker legt er zwar Wert auf geschlechtergerechte Sprache, würde aber einen Zwang zur Verwendung einer bestimmten Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Ausdrücke definitiv nicht befürworten. Man müsse nämlich zwischen dem Bemühen um eine geschlechtergerechte Sprache und dem Vorschreiben einer bestimmten Ausgestaltung derselben unterscheiden. Deshalb hält er auch den im Antrag der thüringischen CDU erneut thematisierten angeblichen Punktabzug bei Prüfungsleistungen, in denen keine Gender-Sternchen verwendet werden, für eine Nebelkerze. „Ich habe noch nie schlechtere Noten vergeben, weil keine Gender-Sternchen verwendet wurden, und ich kenne auch keine andere Hochschullehrkraft, die das macht“, sagt Lenhard. Der Fall an der Uni-Kassel, der letztes Jahr durch die Medien ging, und bei dem Lehramtsstudent Lukas Honemann, seines Zeichens Fraktionsvorstand der CDU Kassel-Land, auf eine Teilaufgabe wegen der Verwendung des generischen Maskulinums einen Punktabzug erhalten hatte, sei ein Sonderfall gewesen. Es habe sich dabei nämlich um eine Arbeit im Rahmen einer Veranstaltung gehandelt, bei der es gerade um Diversität und geschlechtersensible Sprache ging. Die geschlechtersensible Sprache sei hier also explizit Teil der Aufgabe gewesen. Honemann hätte diese Aufgabe auch ohne Gender-Sternchen erfüllen können, ist sich Lenhard sicher. Mit der bewussten Verwendung des generischen Maskulinums habe der Student, der die Prüfung übrigens trotzdem bestanden hatte, diese Aufgabe jedoch nach wissenschaftlichen Kriterien nicht erfüllt.

Tatsächlich kam auch der Kölner Rechtswissenschaftsprofessors Michael Sachs, der im Auftrag der Uni Kassel die Frage klären sollte, ob Studierende Punktabzug bekommen können, wenn sie keine geschlechtergerechte Sprache verwenden, in seinem Gutachten zur Schlussfolgerung, dass dies nur dann der Fall sei, wenn die geschlechtergerechte Sprache selbst Inhalt der Prüfungsleistung sei. „Dieses Gutachten rennt bei mir offene Türen ein“, sagt Lenhard. Er fordert schon seit Langem, dass in den Hochschulprüfungen ausschließlich die zu prüfenden Inhalte, aber eben nicht sprachliche Aspekte wie Rechtschreibung und Grammatik bewertet werden sollten. Gerade Letzteres schreibe ihm jedoch ausgerechnet das Bayerische Kultusministerium bei der Bewertung der Staatsexamina in den Lehrämtern schon seit Jahren vor, und das obwohl Lenhard Leistungen im Fach Psychologie – nicht etwa im Fach Deutsch – bewerte. Hier offenbare sich also ein von konservativen Teilen der Gesellschaft gestützter Doppelstandard.

„Das, was uns Grüne von der anderen Seite des politischen Spektrums unterscheidet“, sagt Lenhard, „ist nicht etwa der Umstand, dass wir andere Menschen zu einer bestimmten Ausgestaltung der Sprache zwingen wollen, es ist vielmehr der Umstand, dass wir selbst mit unserer Sprache auf benachteiligte Gruppen Rücksicht nehmen möchten.“ Zumindest bei seinen Studierenden kommt der Wissenschaftler mit solchen Einstellungen offenbar gut an. Die verleihen ihrem Dozenten regelmäßig Spitzenbewertungen für seine Lehre und sorgten 2013 sogar dafür, dass Lenhard mit dem „Preis für gute Lehre“ des bayerischen Wissenschaftsministeriums ausgezeichnet wurde.