Soziale Netzwerke

  

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Salat und Pizza für alle

Förderverein Bahnhofsmission lud am Sonntag zum vierten Mal zum Picknick ein

 

Würzburg: Einen Job? Nein, sagt Lula, an einen Job ist nicht zu denken. Dazu geht es ihm zu schlecht: "Ich bin arbeitsunfähig." 24 Jahre ist der Punk erst alt. Doch seit langem wird er von emotionalen Achterbahnfahrten gebeutelt. Mal ist er himmelhochjauchzend. Mal zu Tode zu betrübt. Einmal wollte er sich das Leben nehmen. "Daraufhin kam ich das erste Mal in die Psychiatrie", erzählt der junge Mann, der am Sonntag am Picknick des Fördervereins Bahnhofsmission auf der Wiese am Hauptbahnhof teilnahm.

 

Zum vierten Mal lud der Förderverein alle ein, etwas zu essen, etwas zu trinken und mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Aufgetischt wurde reichlich: Kuchen, Sandwiches, Salate, Pizza und Gebäck. Das Konzept ging abermals auf, rund um den Verzehrstand mischte es sich bunt. Da waren Lula und seine Freunde aus der Punkerszene, regelmäßige Besucher der Bahnhofsmission sowie Menschen, die noch nie einen Fuß in die ökumenische Einrichtung der Christophorus-Gesellschaft gesetzt haben.

 

"Wir wollten sowieso gerade Kaffee trinken, da lasen wir, dass es hier Kaffee gibt", sagt eine Frau, Anfang 70, die sich zusammen mit ihrem Ehemann von den Picknick-Plakaten des Fördervereins anlocken ließ. Beide kennen die Bahnhofsmission dem Namen nach. Beide sind überzeugt, dass es diese Anlaufstelle dringend braucht. "Jeder kann in eine soziale Notlage kommen", weiß die Seniorin. Das hat sie soeben bei einem Bekannten erlebt. Dessen Frau hatte sich von ihm getrennt: "Dadurch ist er total abgestürzt."

 

Barbara Heil kennt viele solcher Geschichten. Die junge Frau, die soziale Arbeit studiert hat, war eine Zeitlang in der Würzburger Wärmestube tätig gewesen: "Bei vielen unserer Besucher kam in einem bestimmten Moment einfach alles zusammen." Plötzlich war der Job weg. Das Geld ging aus. Fehlt dann ein Partner oder eine Partnerin, die Halt bieten, kann der Fall ins Bodenlose beginnen.

 

Auch Klaus Ossig kennt solche Schicksale. "Erst heute Nacht hatte ich es mit einem Mann zu tun, dessen Geschichte mir sehr nahe ging", sagt der 28-Jährige, der sich seit einem knappen Jahr im Nachtdienst der Bahnhofsmission engagiert. Gegen 23 Uhr klingelte der Mann. Man habe ihm den Schlafsack geklaut, sagte er. Schnell war Klaus Ossig klar, dass es dem nächtlichen Besucher nicht nur um den Schlafsack ging. Er brauchte dringend jemanden zum Reden. Wollte von den Bildern erzählen, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen.

 

"Er war früher als Soldat in Afghanistan", erzählt Ossig. Was er dort an Grausamkeiten zu sehen bekommen hatte, war für ihn nicht zu verkraften gewesen. Immer wieder drängen Bilder von Toten in seinen Kopf. Um zu vergessen, begann er, zu trinken. Allmählich zerstörte die Sucht seine Existenz.

 

Klaus Ossig weiß, wie es Menschen in prekären Lebenssituationen geht. Er selbst stammt aus einer Familie, die ständig am Existenzminimum herumgekrebst hatte. Immer wieder gab es Phasen der Arbeitslosigkeit. Dann musste die achtköpfige Familie umziehen, weil die Miete nicht mehr bezahlbar war. Mit immensem Kraftaufwand kämpfte sich Ossig heraus. Er wiederholte den Quali. Machte zwei Lehren. Ging in die Berufsoberschule. Und wird im September beginnen, soziale Arbeit zu studieren.

 

Auch Student Ibrahim, der sich zufällig mit seiner Frau am Bahnhof aufhielt und auf den Picknickstand der Bahnhofsmission neugierig wurde, kennt soziale Not. Nahe Verwandte aus Nordrhein-Westfalen, wo der Strukturwandel gerade in vollem Gang ist, verloren soeben ihre Arbeit. Nach jahrzehntelanger Maloche ist für sie plötzlich Schluss.

 

Bei einer Führung durch die Bahnhofsmission, die Einrichtungsleiter Michael Lindner-Jung anbot, lernten Ibrahim und seine Frau die Anlaufstelle für Menschen in schwierigen Lebenssituationen näher kennen. Alleine die Zahlen beeindruckten die Teilnehmer am Rundgang. "46.000 Kontakte im letzten Jahr, das ist kaum zu glauben", äußerte ein Mann, der sich interessiert den Aufenthaltsraum und die Notschlafstätte für Frauen in der Bahnhofsmission ansah.

 

Anspruchsvoll wird die Arbeit dadurch, dass die meisten Besucher ein Bündel an Problemen mitbringen, unterstrich Lindner-Jung. Lula ist das beste Beispiel. Er ist nicht nur wohnungslos. Sondern muss auch mit massiven psychischen Problemen klarkommen. Eine Perspektive sieht er für sich nicht. Nur Wünsche hat er. Vor allem den Wunsch nach einer festen Bleibe. Damit er nicht mehr, wie das in letzter Zeit öfter geschah, um drei Uhr nachts geweckt wird, schlaftrunken sein Zelt abbauen und sehen muss, an welchem Ort er den Rest der Nacht verbringen kann.

 

Am Sonntagnachmittag waren alle, die sich am Bahnhof aufhielten, vom Förderverein Bahnhofsmission zum Picknick eingeladen.

 

Fotos: Förderverein Bahnhofsmission