- Würzburg -
Wie in vielen anderen Museen in Deutschland wird auch in den Sammlungen des Martin von Wagner Museums der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg nach Hinweisen auf widerrechtlich angeeigneten Kunstbesitz geforscht. Vor über zwei Jahren ist Nora Halfbrodt, Mitarbeiterin der Professur für Museologie, bei einem eher unscheinbaren Objekt in der Gemäldegalerie fündig geworden.
Das um 1600 im süddeutschen Raum entstandene Flügelaltärchen befindet sich seit 1939 im Universitätsmuseum. Inzwischen besteht kein Zweifel daran, dass es sich bei der damaligen Neuerwerbung um einen Fall unrechtmäßigen Entzugs jüdischen Eigentums handelte: Es gehörte der Würzburger Familie Seligsberger, die größtenteils zu Opfern der Shoah wurde.
Schrifttafel zur Aufklärung einer Tragödie
2020 gelang es, die rechtmäßigen Erben zu ermitteln; sie leben verstreut in Kanada, den USA und Israel. Die JMU war zu einer Restitution bereit und hat ihnen drei verschiedene Vorschläge gemacht, wie mit dem Altärchen umzugehen sei: es zurückzugeben, es abzukaufen oder es als Leihgabe im Museum zu belassen. Schließlich entschlossen sich die 16 lebenden Seligsberger-Nachfahren, dass das Werk als Dauerleihgabe an seinem jetzigen Ort bleiben darf.
„Mit dem Vertragsabschluss im Januar 2022 ist der kleinformatige Altar nicht mehr in unserem Besitz“, erläutert Professor Damian Dombrowski, Direktor der Neueren Abteilung des Martin von Wagner Museums, „doch die Eigentümer sind uns mit einer Großzügigkeit begegnet, die wir so nicht erwarten konnten. Dafür darf ihnen die ganze Universität sehr dankbar sein.“
Teil der Leihvereinbarung ist eine Schrifttafel, die im Museum seit kurzem über die Tragödie hinter dem Kunstwerk aufklärt. Dadurch erinnert das Altärchen an die Seligsbergers, die als Inhaber einer der größten Kunst- und Antiquitätenhandlungen in Deutschland stolze und engagierte Bürger Würzburgs waren.
Erlittenes Unrecht
1937 mussten die Geschwister Ernestine und Sigmund Seligsberger auf Anweisung der Reichskammer der Bildenden Künste ihr Geschäft aufgeben. Sigmund emigrierte in die Niederlande und wurde, wie seine Frau und sein Sohn, 1942 deportiert und umgebracht. Ein vormaliger Mitarbeiter hatte das Geschäft übernommen und das Altärchen an das Martin von Wagner Museum verkauft.
„Das erlittene Unrecht und die grausamen Verbrechen, die an ihnen verübt wurden, prägen die Erinnerungen ihrer Nachkommen bis heute“, schreibt Steve Wolff aus Toronto, der Sprecher der Erben: „Die schmerzvollen Erinnerungen waren wie schreckliche Schatten immer präsent.“ Der Text der Tafel wurde daher in enger Abstimmung mit den Vertragspartnern entworfen.
Weitere Nachforschungen geplant
Museologie und Museum fühlen sich von dieser Erfahrung – kurz vor dem Internationalen Tag der Provenienzforschung am 13. April – angespornt, die Bestände des Universitätsmuseums weiter auf Restitutionsfälle zu überprüfen. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg hat Ende 2021 die Fortführung des seit 2018 laufenden Forschungsprojekts bewilligt. Geleitet wird es von Professor Guido Fackler, mit den neuen Recherchen ist seine Mitarbeiterin Inga Benedix betraut. „Mit dem Fall Seligsberger haben wir nicht zuletzt auch die Wichtigkeit unseres Master-Studiengangs ,Sammlung – Provenienz – Kulturelles Erbe‘ unter Beweis gestellt“, sagt Fackler über den Forschungserfolg.
Derzeit wird die Darstellung eines Alchimisten überprüft, der möglicherweise der Würzburger Freimaurerloge entwendet wurde. Sie war unter den Nazis enteignet worden. Aber nicht nur Erwerbungen aus der Nazizeit können über eine heikle Herkunft verfügen; Inga Benedix wird im Anschluss die zwischen 1945 und 1998 erworbenen Gemälde auf ihre Provenienz überprüfen.
Kaiserrecht in der Genderperspektive
Der oströmische Kaiser Justinian beschäftigte sich in seiner Gesetzgebung besonders oft mit Frauen. Warum das so war und welches Frauenbild diese Gesetze zeigen, untersucht nun ein Projekt der Uni Würzburg.
Einer der wohl bedeutendsten Figuren der Spätantike war Kaiser Justinian. Er war Sieger in vielen militärischen Auseinandersetzungen und herrschte von 527 bis 565 n. Chr. über ein wiedererstarktes Oströmisches Reich, während das Reich im Westen längst zusammengebrochen war. Besonders bekannt ist er außerdem in der Rechtswissenschaft: Justinian sorgte für eine komplette Kompilation des Römischen Rechts, wofür ihm Rechtshistoriker bis heute dankbar sind.
Doch Justinian sammelte nicht nur alle relevanten Rechtsquellen, er erließ auch selbst viele Gesetze. Mehr als 200 davon beschäftigten sich mit Frauen – mit ihrer Rolle als Ehefrauen, als Mütter oder ihren Rechten und Pflichten im Alltag. Warum hat sich der Kaiser so intensiv mit Frauen beschäftigt? Und was sagen diese Gesetzestexte über das Frauenbild der damaligen Zeit?
Damit beschäftigt sich PD Dr. Katharina Wojciech von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg in dem Forschungsprojekt „Justinian und die Frauen – Kaiserrecht in Genderperspektive“, das im April 2022 am Lehrstuhl für Alte Geschichte der JMU an den Start ging. Gefördert wird das auf drei Jahre ausgelegte Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit rund 300.000 Euro.
Rolle und Rechte der Frau im 6. Jahrhundert
Viele der Gesetzestexte aus Justinians Zeit beziehen sich explizit auf Frauen: „Mir geht es darum zu hinterfragen, warum Frauen in diesen Gesetzen sichtbar werden. Welche Erwartungen wurden dabei an Frauen formuliert? Entsprachen Frauen diesen Erwartungen? Und wenn sie es nicht taten, inwiefern hatten diese Gesetze ihren Platz im Alltag?“, erklärt Wojciech. Konkret geht es darum zu untersuchen, wie das weibliche Geschlecht in der Gesellschaft des 6. Jahrhunderts wahrgenommen wurde – und wie sich diese Wahrnehmung in der Gesetzgebung widerspiegelt.
„Justinian hat sich anscheinend für viele Aspekte interessiert, die nicht unbedingt typisch für einen Herrscher der damaligen Zeit waren. Dazu gehören auch die Frauen“, sagt die Würzburger Historikerin. Warum? Das ist in der Wissenschaft umstritten. Einige Quellen nennen hier die Kaiserin Theodora als Antrieb des Kaisers, die Situation der Frauen zu verbessern. „Das ist aber keineswegs gesichert!“, sagt Wojciech.
Tatsächlich hatte Justinian die Stellung der Frau in einigen Punkten verbessert: So wurde es für Frauen einfacher, legitime Verbindungen einzugehen. Und er verhalf Frauen zu mehr Besitz, ihre vermögensrechtliche Stellung verbesserte sich. Doch gleichzeitig erließ Justinian auch Gesetze, welche die Stellung der Frau einmauerten. Wurde eine Frau zum Beispiel von ihrem Mann geschlagen, konnte sie sich nicht scheiden lassen. Ihr stand lediglich eine finanzielle Entschädigung zu. „Das zeigt, dass seine Gesetzgebung nicht frei von Widersprüchen war und es auch unterschiedliche Entwicklungen gab. Die Frage nach seiner Motivation ist dabei ein spannender Faktor“, erklärt Wojciech.
Gesetzestexte und Literatur
Kern der Untersuchung sind die Gesetzesnovellen von Justinian und seine Sammlung des Römischen Rechts, das Corpus Iuris Civilis. Hinzu kommen literarische Werke, wie die damalige Geschichtsschreibung von Prokopios von Caesarea oder religiöse Schriften wie Heiligenviten. Diese werden benötigt, um zu untersuchen, inwiefern sich die Gesetzestexte auch im Alltag der damaligen Gesellschaft wiederfanden.
Wojciech wird interdisziplinär vorgehen und mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Geschichte, Rechtswissenschaft und Religionswissenschaft zusammenarbeiten. Bislang an der Universität Freiburg tätig, ist sie für dieses Projekt an die JMU gewechselt und freut sich besonders auf ihre Arbeit in der Residenz: „Würzburg ist ein idealer Standort für diese Forschung. Die Altertumswissenschaften sind hier sehr stark ausgeprägt. Es gibt nicht nur die Alte Geschichte, sondern auch die Altphilologie, Ägyptologie, Papyrologie und auch das Römische Recht an der Juristischen Fakultät“, sagt Wojciech.
Zentrale Kooperationspartner sind Professor Rene Pfeilschifter (Alte Geschichte, JMU), Professor Wolfram Buchwitz (Bürgerliches Recht, Römisches Recht, Historische Rechtsvergleichung und Zivilprozessrecht, JMU) und Professor Günter Vittmann (Ägyptologie, JMU). Weitere externe Partner sind Denis Feissel (CNRS Paris), Wolfgang Kaiser (Uni Freiburg), Tonio Sebastian Richter (FU Berlin), Peter Riedlberger (Uni Bamberg) und Katharina Waldner (Uni Erfurt).
Den Frauen von damals eine Stimme geben
Geschichte aus der Gender-Perspektive ist bereits länger ein Thema in Wojciechs Lehre. Nun will sie das Thema auch in die Forschung tragen. „Man muss immer beachten: Unsere historischen Quellen sind immer von Männern verfasst worden. Wir begegnen in der Antike also einer Fremdsicht auf Frauen. Deshalb ist es mir besonders wichtig, ihnen heute eine Stimme zu geben und die männlichen Diskurse, Erwartungen und Werturteile von damals zu hinterfragen“, so die Würzburger Althistorikerin.
Kontakt
PD. Dr. Katharina Wojciech, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Universität Würzburg, T. +49 931 – 31 87249, katharina.wojciech@uni-wuerzburg.de
KI-Kompetenz am Arbeitsplatz
Wie sollten Anwendungen der Künstlichen Intelligenz im Arbeitskontext gestaltet sein, um die Bedürfnisse der Beschäftigten möglichst gut zu erfüllen? Danach fragt ein neues Forschungsprojekt.
Schon jetzt nutzen viele Menschen an ihren Arbeitsplätzen Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI). In der Industrie bauen Beschäftigte und Roboter gemeinsam Maschinen. In der Finanzwirtschaft helfen KI-Tools, die Kreditwürdigkeit von Klientinnen und Klienten zu beurteilen. Und in der Landwirtschaft greifen intelligente Systeme auf Biosensordaten der Milchkühe zurück, um den besten Melkzeitpunkt zu ermitteln.
Bei der Planung und Implementation solcher KI-Systeme stehen bislang vorwiegend technische und pragmatische Aspekte im Mittelpunkt. Der Faktor Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen sowie die Frage nach der sozialen Interaktion am Arbeitsplatz stehen häufig zurück, wenn es um die Gestaltung und Einführung von KI-Systemen geht.
Hier setzt das neue Forschungsprojekt AIL AT WORK der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg unter der Leitung von Juniorprofessorin Carolin Wienrich, Dr. Astrid Carolus und Professor Marc Erich Latoschik an: Es nimmt den Menschen in den Blick, der mit KI-Systemen arbeitet. Das ist gesellschaftlich relevant, denn schon jetzt verändert die Digitalisierung das Arbeiten sowie die Gestaltung von Arbeitsplätzen.
Die „Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales fördert das Würzburger Projekt mit 1,15 Millionen Euro. AIL steht hier für Artificial Intelligence Literacy. Mit „Literacy“ meint die Wissenschaft in diesem Zusammenhang die Fähigkeit des Menschen, KI-Systeme zu verstehen, kritisch zu bewerten und zu nutzen.
XR und KI: Virtuelle Testumgebungen für eine be-greifbare Interaktion
AIL AT WORK zielt unter anderem darauf ab, Messinstrumente zu entwickeln, die KI-Literacy wissenschaftlich genau und praxisnah erfassen. Darüber hinaus werden virtuelle Testumgebungen in Extended Reality (XR) entwickelt, mit denen sich die Bedürfnisse der Menschen an unterschiedlichen KI-basierten Arbeitsplätzen direkt erforschen lassen. Mitarbeitende können so mit zukünftigen KI-Systemen interagieren und verschiedene Gestaltvarianten bewerten. Sie werden damit direkt in die Gestaltung und Einführung von KI-Systemen eingebunden.
Beispiel: Sogenannte Recommender-Systeme unterstützen Beschäftigte, indem sie ihnen Ratschläge zu arbeitsspezifischen Fragen geben. Wie sollte hier die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine am besten aussehen? Ein einfaches Chatfenster? Zusätzlich das Bild einer Person neben dem Chat? Mann oder Frau, jung oder alt? Oder fühlen sich manche Beschäftigte wohler mit einem menschenähnlichen Roboter, der sich in ihrem Büro bewegt und auf Spracheingaben reagiert? Genau diese Fragen wird das Forschungsprojekt beantworten.
Fachleute aus Technik und Psychologie
Solche und andere menschenzentrierte Fragen zu KI-Systemen will das Würzburger Projektteam in den kommenden drei Jahren in enger Kooperation mit Pilotfirmen untersuchen.
Carolin Wienrich, Psychologin und Expertin für Mensch-Technik-Systeme, leitet das Projekt gemeinsam mit der Medienpsychologin Astrid Carolus und Marc Erich Latoschik, Lehrstuhlinhaber für Mensch-Computer-Interaktion. Zum Team gehören außerdem die Promovierenden Samantha Straka und Thomas Proksch. Darüber hinaus werden Studierende aktiv in das Forschungsprojekt eingebunden.
Kooperation mit Unternehmen
Das Team will mit zunächst drei Pilotfirmen aus verschiedenen Branchen kooperieren. Passende Kontakte werden derzeit geknüpft; Unterstützung dabei kommt unter anderem von der IG Metall, der IHK Würzburg-Schweinfurt und dem Labs Network Industrie 4.0 e.V.
Öffentlichkeitswirksame Vorstellung des Projekts
Eine erste projektrelevante Publikation wurde soeben mit der Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft veröffentlicht (pdf, Download).
Darüber hinaus wird sich das Projekt auf der Weizenbaumkonferenz (9. / 10. Juni 2022) in Berlin vorstellen.
Über das Kick-Off des Projekts informiert: Auftakt AIL AT WORK: Künstliche Intelligenz bei der Arbeit – auf dem Weg zu kompetenten und souveränen Nutzer*innen KI-basierter Systeme - Das KI-Observatorium – Ein Projekt der Denkfabrik
Blick an die Grenzen der Zeit
Wenn demnächst im großen Teilchenbeschleuniger LHC wieder Protonen mit annähernd Lichtgeschwindigkeit kollidieren, sind auch Physiker der Uni Würzburg gespannt. Von ihnen stammen wichtige Teile der „Weltmaschine“.
Es ist ruhig geworden um den Large Hadron Collider LHC, einen Teilchenbeschleuniger am Forschungszentrum CERN in Genf – zumindest in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2008 in Betrieb gegangen, war es anfangs wesentliches Ziel, mit Hilfe des 27 Kilometer langen Rings aus supraleitenden Magneten das viele Jahrzehnte gesuchte Higgs-Teilchen nachzuweisen und zu vermessen. Das ist im Jahr 2012 gelungen; die beiden Physiker, die dessen Existenz vorhergesagt hatten, erhielten 2013 den Nobelpreis in Physik.
Dass der LHC in den vergangenen Monaten in den Medien nicht mehr präsent war, hat einen simplen Grund: Seit Januar 2019 ruht der Betrieb. Während des planungsmäßigen Shutdowns wird bis Mitte 2022 intensiv an technischen Verbesserungen gearbeitet. Während die Protonen bislang mit der zuvor nie erreichten Energie von 13 Teraelektronenvolt (TeV) kollidierten, sollen demnächst Energien von 14 TeV erreicht werden und die Anzahl der Ereignisse pro Sekunde deutlich erhöht werden. Damit sind dann neue Einblicke in die Welt der Elementarteilchen und auch in die Geschichte unseres Universums möglich.
Drittmittel in Höhe von 1,5 Millionen Euro eingeworben
An der Entwicklung und am Bau der neuen „Ausbaustufe“ des Teilchenbeschleunigers beteiligt waren auch Physiker der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU): Professor Thomas Trefzger, Inhaber des Lehrstuhls für Physik und ihre Didaktik, Professor Raimund Ströhmer vom gleichen Lehrstuhl und Professor Ansgar Denner als Vertreter der Theoretischen Physik. Beim Bundesforschungsministerium haben sie dafür Drittmittel in Höhe von insgesamt rund 1,5 Millionen Euro eingeworben.
„Wir waren dafür verantwortlich, für das ATLAS-Experiment am LHC wichtige Bauteile zu konstruieren“, erklärt Thomas Trefzger. Der ATLAS-Detektor ist einer von vier großen Detektoren an dem Ringbeschleuniger in Genf. Er zeichnet Teilchenkollisionen mit einer hohen Auflösung auf und speichert die Daten zur weiteren Analyse. Dabei konzentriert er sich auf sogenannte Myonen – eine Art „schwere Brüder“ des Elektrons, die allerdings nur für den millionstel Bruchteil einer Sekunde existieren, bevor sie in Elektronen und Neutrinos zerfallen.
Höhere Energie führt zu besseren Ergebnissen
„Wir wissen, dass das Higgs-Teilchen oft in zwei Elementarteilchen, sogenannte Z-Bosonen, zerfällt, die ihrerseits in jeweils zwei unterschiedliche Myonen zerfallen können“, erklärt Trefzger. Diese vier Myonen muss der ATLAS-Detektor in seinen „Myonkammern“ aufspüren und ihren Impuls und ihre Energie bestimmen, damit die Physiker in einer Rückwärtsberechnung die Masse des Higgs-Teilchens, aber auch die von anderen Elementarteilchen ermitteln können.
Das hat in der Vergangenheit schon ganz gut geklappt und unter anderem zum Nachweis des Higgs-Bosons geführt. Noch bessere Ergebnisse versprechen sich die CERN-Verantwortlichen jedoch von der jetzt nochmals gesteigerten Energie des Protonenstrahls. Der Nachteil dabei: „Mit der bisherigen Ausstattung wäre ATLAS nicht in der Lage, die gewaltige Zahl an Kollisionen verlässlich zu registrieren und auszuwerten, die wir erwarten. Er würde zu viele ‚falsche Myonen‘ erkennen“, erklärt Trefzger.
Schraubarbeiten im Reinraum
Damit dies nicht passiert, haben die Würzburger Physiker gemeinsam mit Kollegen in München, Freiburg und Mainz neuartige Myonkammern entwickelt und gebaut. In Würzburg wurden dafür zwei Quadratmeter große Metallnetze unter Reinraumbedingungen und mit höchster Präzision zusammengefügt. Den Zwischenraum füllt ein spezielles Gas, das den hohen technischen Anforderungen genügt.
„Das hört sich vermutlich recht banal an: Metallnetze zusammenschrauben“, sagt Trefzger mit einem Lächeln. Dabei seien die Anforderungen extrem hoch. Winzige Abweichungen könnten schließlich zu Entladungen führen, die den Messprozess stören; ein ungeeignetes Gas produziert Ablagerungen, die die Ergebnisse verfälschen, und die Erwartungen an die Haltbarkeit sind hoch: „15 Jahre sollten diese Teile mindestens funktionieren“, so Trefzger.
Zwei Monate Shutdown wegen Corona
In seiner neuen Ausbaustufe kann ATLAS nun Myon-Signale innerhalb von nur 200 Nanosekunden auslesen – vier Mal so schnell wie sein Vorgänger. Der Detektor kann also in der gleichen Zeit wesentlich mehr Ereignisse verarbeiten als bisher. Zudem verbessert sich die räumliche Auflösung und damit die Messgenauigkeit der Myon-Impulse. Somit wird es möglich sein, die physikalischen Eigenschaften der beobachteten Teilchen sehr viel genauer zu bestimmen als es bislang möglich war.
Ende 2020 waren die neuen Myonkammern fertig, dann ging erst einmal nichts voran: Coronabedingt war am LHC Shutdown angesagt. Inzwischen ist der Einbau so gut wie fertig. Zwei Mitarbeiter von Thomas Trefzger sind dafür dauerhaft vor Ort an dem Teilchenbeschleuniger zugange. Sie verkabeln die Kammern, kontrollieren den Zusammenbau, nehmen sie in Betrieb und führen eine Reihe von Tests durch. Erst wenn klar ist, dass eine Kammer funktioniert, wird sie endgültig eingebaut.
Unerwartete Ergebnisse sind die spannendsten
Beendet ist die Würzburger Beteiligung an dem gewaltigen Experiment damit nicht: „Wir sind auch an der Analyse der Daten beteiligt, die die Detektoren in den kommenden Jahren liefern werden“, sagt Trefzger. Diese Datenmenge ist gigantisch: ATLAS produziert in vollem Betrieb jährlich etwa vier Petabyte – also 4.000 Terabyte Daten, auf die die beteiligten Wissenschaftler weltweit zugreifen werden.
Ob sich in ihnen nochmal solch eine Sensation wie das Higgs-Boson verbirgt? Das lässt sich nicht vorhersagen, so Trefzger. Im Prinzip gehe es darum, die Prozesse, die sich in winzigen Bruchteilen von millionstel Sekunden nach dem Zusammenprall der Protonen vollziehen, genauer zu verstehen. Spannend werde es, wenn dabei Abweichungen von den erwarteten Ergebnissen zu sehen sind. Dann stelle sich die Frage: Ist es ein neues Teilchen?
Und wem das noch nicht spektakulär genug ist: Je höher die Energien sind, mit denen die Teilchenstrahlen in dem Beschleuniger aufeinander prallen, desto näher rücken die Physiker bildlich gesprochen an den Urknall heran. „Momentan blicken wir auf die Zustände zurück, die eine zehntausendstel Sekunde nach dem Urknall herrschten“, sagt Trefzger. Die Grundfragen – Woher kommen wir? Wie ist das Universum entstanden? Warum gibt es die Materie so, wie wir sie finden? – lassen sich damit noch nicht beantworten.
Der ATLAS-Detektor
ATLAS ist der größte Teilchendetektor, der jemals an einem Beschleuniger gebaut wurde: Er ist etwa so groß wie ein fünfstöckiges Haus. ATLAS erforscht ein breites Spektrum physikalischer Phänomene. Beispiele sind die präzise Vermessung der Eigenschaften des Higgs-Teilchens, Präzisionstests des Standardmodells der Teilchenphysik oder die Suche nach neuen Teilchen und Phänomenen. Hierzu gehören beispielsweise die Suchen nach supersymmetrischen Teilchen und nach zusätzlichen Raumdimensionen.
Hauptmerkmal von ATLAS ist das ringförmige Magnetsystem. Es besteht aus acht 25 Meter langen supraleitenden Magnetspulen, die zylinderförmig um das Strahlrohr angeordnet sind. Sie erzeugen ein ringförmiges, sogenanntes toroides Magnetfeld, das in der Kollision entstandene Myonen im äußeren Bereich des Detektors ablenkt. In einem weiteren Magnetfeld im Innern des Detektors werden die Impulse aller in der Kollision entstandenen geladenen Teilchen vermessen. Mehr als 3200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von 177 Instituten aus 38 Ländern arbeiten am ATLAS-Experiment. Aus Deutschland sind 18 Institutionen beteiligt.
Kontakt
Prof. Dr. Thomas Trefzger, Lehrstuhl für Physik und ihre Didaktik
T: +49 931 31-85787, thomas.trefzger@physik.uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Raimund Ströhmer, Professur für Experimentelle Hochenergiephysik
T: +49 931 31-80977, raimund.stroehmer@physik.uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Ansgar Denner, Lehrstuhl für Theoretische Physik II
T: +49 931 31-89978, denner@physik.uni-wuerzburg.de
Die Kinderuni geht wieder los
Nach langer Corona-Pause geht es jetzt wieder los: Die Kinderuni der Universität Würzburg startet am 30. April 2022 mit einem Thema aus dem Bereich Sprachheilpädagogik. Anmeldungen sind ab sofort möglich.
Wie kommunizieren Menschen eigentlich? Kann man nur mit dem Mund sprechen? Warum heißt ein Stuhl Stuhl und nicht Gabel? Wie können wir neue Wörter lernen? Und warum versteht Mama mich immer wieder falsch, obwohl ich doch genau gesagt habe, was ich meine?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich am Samstag, 30. April 2022, die Kinderuni an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg. Wo? Im Audimax der Neuen Universität am Sanderring 2. Den kindgerechten Vortrag hält Professorin Carina Lüke und das Team des Lehrstuhls für Sprachheilpädagogik. Das Thema: „Zylinder geht so – Sprechen mit Mund und Händen“.
Im Vortrag werden spannende und wichtige Fragen zur Sprachentwicklung und zu Schwierigkeiten in der Sprachentwicklung erklärt und Tricks zum Lernen neuer Wörter gezeigt. Es wird erklärt, dass zur Kommunikation mit anderen Menschen nicht nur der Mund, sondern vor allem auch die Hände genutzt werden können.
Für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren
Alle Vorlesungen der Kinderuni werden pro Samstag zweimal angeboten, um 10 Uhr und um 10.45 Uhr. Die Vorlesungen sind für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren gedacht. Für Begleitpersonen, Eltern und Geschwister wird die Vorlesung in den Brose-Hörsaal im gleichen Gebäude übertragen.
Das Studentenwerk Würzburg bietet während der gesamten Zeit ein Frühstücksangebot im Lichthof der Neuen Universität an. Die Veranstaltung wird konform der bis dahin geltenden Corona-Regeln durchgeführt.
Zum Vormerken: Am 09. Juli 2022 findet die nächste Kinderuni statt – dann zum Thema Röntgenstrahlen.
Anmeldung
Die kostenfreien Eintrittskarten für die Kinderuni können hier reserviert werden. Die Karten werden am Veranstaltungstag vor Ort ausgegeben. Schulklassen können sich per E-Mail unter kinderuni@uni-wuerzburg.de anmelden. Lehrkräfte dürfen mit ihren Klassen in den Hörsaal gehen.
Eltern von Kindern mit speziellen Bedürfnissen können sich im Vorhinein unter kinderuni@uni-wuerzburg.de beim Organisationsteam melden.
Welchen Fußball wollen wir?
Im Sommersemester 2022 geht an der Universität Würzburg ein Seminar in die nächste Runde, das den Lieblingssport der Deutschen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet – den Fußball.
Unter dem Schirm des Lehrstuhls für Sportwissenschaft der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg lädt Lehrstuhlinhaber Professor Harald Lange „Studierende aller Fächer und Fakultäten und auch aller Hochschulstandorte im deutschsprachigen Raum“ dazu ein, am wissenschaftlichen Austausch rund um den Fußball teilzunehmen.
Bereits 2020 war das Seminar erstmals mit dem Titel „Welchen Fußball wollen wir?“ als experimentelle hochschuldidaktische Reaktion auf die Coronapandemie via Zoom angelaufen und wurde von Studierenden verschiedener Fachbereiche aus ganz Deutschland sehr gut angenommen.
Studien wecken Interesse
Durch die mediale Aufmerksamkeit, die Lange zuletzt mit zwei großangelegten Forschungsprojekten, der DFB-Basis-Studie und der Fanrückkehr-Studie, generiert hatte, sieht er nun die passende Gelegenheit, die Veranstaltung nochmals zu bewerben: „Der Erfolg der Studien hat viel angestoßen und große Resonanz ausgelöst.“ Da die ersten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars nun ihre Masterarbeiten schreiben, oder auch Promotionsprojekte auf den Weg bringen, gelte es, den Austausch auch für weitere Interessierte zu öffnen. Auch diesmal soll es möglich sein, Interessierte in Forschungsprojekten einzubinden.
„Studentischer Thinktank zur Zukunft des Fußballs“
Gerade der interdisziplinäre Ansatz macht für Lange den besonderen Wert des Seminars aus: „Juristinnen und Juristen haben ihren eigenen Zugang zum Thema Fußball, Fachleute aus der Wirtschafts-, Medien-, Sport- oder Politikwissenschaft wieder einen anderen, und die aus Soziologie, Geschichte oder Linguistik ebenso.“ Angesprochen werden die Studierenden und wissenschaftlicher Nachwuchs, die den Fußball nicht nur als Hobby oder persönliches Fanthema sehen, sondern ihn auch in ihrem Studium zum Thema interdisziplinärer Lehre und Forschung machen möchten. Als „studentischer Thinktank zur Zukunft des Fußballs“ diene das Seminar als Drehscheibe für den Austausch und biete viele Möglichkeiten zur Netzwerkbildung.
Ausbau ist möglich
Aufgrund des offenen Charakters findet die Veranstaltung weiterhin online über Zoom statt. Der Umfang könne von den bisherigen zwölf Teilnehmern und Teilnehmerinnen auf bis zu 20 erweitert werden. Bei einzelnen komplett offenen Sitzungen mit Gastvorträgen erreichte die Veranstaltung in der Vergangenheit sogar um die 80 Personen.
Dabei sieht Harald Lange das Potential längst nicht ausgeschöpft: „Das Seminar ist eine zarte aber sehr nachhaltig wirkende Pflanze, die ich perspektivisch an einen innovativen Studiengang anbinden möchte.“ Dabei strebt er auch Kooperationen mit bestehenden Studiengängen beziehungsweise Hochschulen aus ganz Deutschland an. Seit dem Start im Mai 2020 seien die Fragestellungen und Themen, die sich von kulturtheoretischen Grundlagen, über sportpolitische Fragestellungen bis hin zum Spannungsfeld zwischen Kommerz und Ethik im Fußball erstrecken, schließlich noch relevanter geworden, so Lange.
Zwischen Mai und Juli werden insgesamt 14 Sitzungen stattfinden. Termin ist immer mittwochs um 18:30 Uhr.
Interessierte können sich direkt bei Harald Lange melden.
Kontakt
Prof. Dr. Harald Lange, Lehrstuhl für Sportwissenschaft, Universität Würzburg, T. +49 151 – 10388104, harald.lange@uni-wuerzburg.de
Ringvorlesung: Honigsinnige Lieder
Eine gemeinsame Ringvorlesung organisieren zum Sommersemester gleich zwei Institutionen der Uni Würzburg. Sie beschäftigt sich mit epischer Dichtung von ihren Anfängen bis zur Gegenwart.
Die Griechen verglichen die Dichtung mit dem Honig, weil beide mit der angenehmen Empfindung der Süße verbunden waren. Das dem griechischen „meliphron“ nachgebildete Kunstwort „honigsinnig“ bezeichnet alles, was Herz und Sinn erfreut: den Wein, die Kunst und eben die Dichtung, als deren höchste Ausprägung das Epos gilt.
Episches Erzählen bewegt sich zwischen hochfliegender Phantastik und detailreicher Betrachtung des Alltags. Es umfasst alle Stillagen – hoch, niedrig, tragisch, komisch. Es ist ein kultur- und epochenübergreifendes Phänomen. Deshalb widmet sich im Sommersemester 2022 eine Ringvorlesung an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg diesem Thema. Organisiert wird sie vom Kolleg Mittelalter und Frühe Neuzeit (MFN) und dem Würzburger Altertumswissenschaftlichen Zentrum (WAZ) der JMU. Kooperationspartner ist die Graduate School of Humanities.
Die öffentliche Ringvorlesung führt alle Interessierten vom alten Orient über die klassische Antike nach Indien und wieder zurück nach Europa vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Die Ringvorlesung beginnt am Dienstag, 26. April 2022. Beginn ist stets um 19:30 Uhr im Toscanasaal (Südflügel) der Würzburger Residenz (Residenzplatz 2). Der Eintritt ist frei. Es wird um Anmeldung per E-Mail (ringvorlesung.mfn@uni-wuerzburg.de) gebeten. Damit können Interessierte informiert werden, sollten die Veranstaltung nicht in Präsenz stattfinden können.
Studierende der JMU können beim Besuch der Ringvorlesung drei ECTS-Punkte im ASQ-Bereich (Allgemeine Schlüsselqualifikationen) oder im Freien Bereich erwerben.
Das Programm
26.04.2022
Gilgamesch: Vom Heldenepos zum Weisheitstext
Daniel Schwemer, JMU
03.05.2022
Homers Ilias und die Geschichte vom Trojanischen Krieg
Fabian Horn, München
10.05.2022
Homers Odyssee: Ein Epos über das Erzählen
Jan Stenger, JMU
17.05.2022
Die Blendung des Riesen: Bilder, Epos und Märchen
Luca Giuliani, Berlin/Freiburg i. Br.
24.05.2022
Die mykenische Zeit und die homerischen Epen – archäologisch betrachtet
Tobias Mühlenbruch, FAU Erlangen
31.05.2022
Die vielen Stimmen von Vergils Aeneis: Faszinosum oder Ärgernis?
Wolfgang Kofler, Universität Innsbruck
14.06.2022
Krisen der Ordnung: Narration und Reflexion im Mahabharata-Epos
Angelika Malinar, Universität Zürich
21.06.2022
Beowulf: Das Epos als Elegie?
Andrew James Johnston, FU Berlin
28.06.2022
Das Rolandslied: Heldenlied und Märtyrerlegende
Brigitte Burrichter, JMU
05.07.2022
‚Episches‘ Erzählen im hohen Mittelalter: das Nibelungenlied
Dorothea Klein, JMU
12.07.2022
Die Mäßigung des Helden. Episches Erzählen in Poema de Mio Cid
Gerhard Penzkofer, JMU
19.07.2022
Epochenbrüche. Giambattista Tiepolo und Martin von Wagner widmen sich der Ilias
Damian Dombrowski, JMU
26.07.2022
Winter is coming: Epische Erzählen im Zeitalter des Anthropozän
Catrin Gersdorf, JMU
Kontakt
Prof. Dr. Thomas Baier, Lehrstuhl für Klassische Philologie II (Latinistik), Universität Würzburg, thomas.baier@uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Brigitte Burrichter, Lehrstuhl für Französische und Italienische Literaturwissenschaft, Universität Würzburg, brigitte.burrichter@uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Jochen Griesbach, Direktor der Älteren Abteilung des Martin Wagner Museums, jochen.griesbach@uni-wuerzburg.de