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Wie aus dem Leben gehen?

Alexander Zöller berät seit 2019 zu Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

Aschaffenburg / Partenstein

Informationen gibt es in Hülle und Fülle: Zum Stichwort „Patientenverfügung“ spuckt das Internet zwei Millionen Treffer aus. Und doch ist die Unsicherheit groß. Deshalb ist Beratung so wichtig. Diese Beratung bietet Alexander Zöller im Aschaffenburger Bernhard-Junker-Haus der Arbeiterwohlfahrt sowie im AWO-Seniorenzentrum in Partenstein an. Der 42-Jährige ist seit 2019 „Gesundheitlicher Vorsorgeplaner“. „Advance Care Planning“ nennt sich das mit einem Fachbegriff.

Zu geringes medizinisches Wissen ist ein generelles Problem beim Abfassen von Patientenverfügungen. „Bestes Beispiel ist das Thema ‚Reanimation““, sagt Alexander Zöller. In Spielfilmen sieht man oft, wie Leute, die reanimiert wurden, kurz danach wieder quicklebendig herumspringen. In Wirklichkeit ist das nicht so: „Viele Menschen werden durch den Herzstillstand zum Pflegefall, da Hirnareale abgestorben sind.“ Wer dies weiß, beantwortet die Frage, ob er sich im Notfall reanimieren lassen möchte, meist anders, als wenn dieses Wissen fehlt oder falsche Vorstellungen existieren.

Ebenso meint man oft irrtümlicherweise, dass ein Mensch bis zur letzten Minute seines Lebens etwas zu essen haben möchte. „Angehörige denken, dass der Patient verhungert, weil er nichts isst“, sagt Zöller. Sie stellen sich dies als sehr qualvoll vor. Schwerkranke und sterbende Menschen haben in der Regel deutlich weniger oder gar kein Bedürfnis mehr zu essen und zu trinken. Dieser Vorgang ist eine körperliche Schutzmaßnahme, denn zugeführte Nahrung-­ und Flüssigkeitszufuhr stellt für Sterbende oftmals eine Belastung dar und hindert den physiologischen Sterbeprozess. Dennoch können Trink- und Essenswünsche berücksichtigt werden, z.B. wenige Löffel von einer Lieblingsspeise. Einen besonderen Stellenwert erhält die Mundpflege, denn auch wenn ein Patient nicht mehr in der Lage ist zu trinken, werden Mundschleimhaut, Zunge und Lippen regelmäßig befeuchtet, somit ein Durstgefühl verhindert. 

Dieses Wissen ist wichtig, wenn es in der Patientenverfügung darum geht, ob man künstlich ernährt werden möchte. Alexander Zöller spricht über diese und viele andere Fragen sehr ausgiebig mit den betagten Bewohnern der beiden von ihm betreuten Einrichtungen. Nicht selten dauern die Gespräche mehrere Stunden.

Die Bewohner entscheiden sich freiwillig für ein Gespräch mit Zöller. „Im Aufnahmepaket ist mein Flyer enthalten“, sagt der gelernte Pfleger. Auf diese Weise erfahren die Senioren, dass es das Angebot der Vorsorgeplanung gibt. „Nicht alle wollen es“, so Zöller. Und das ist auch in Ordnung. Schließlich fällt es nicht jedem leicht, über das eigene Sterben zu sprechen. Mit jenen, die sich auf ein Gespräch einlassen, bespricht Zöller auch, wie die letzten Lebenstage und Lebensstunden gestaltet werden sollen. Manche Senioren möchte zum Schluss noch mal ein Glas Frankenwein trinken. Manche wünschen sich auch ein Tier als freundlichen Begleiter auf dem letzten Lebensweg.

Ganz ohne Juristendeutsch alles zu erklären, was für die letzten Tage des Lebens aus rechtlicher Sicht geregelt werden sollte, ist gar nicht so leicht. „Doch wir lernen in der Ausbildung, sowohl über die Patientenverfügung als auch über die Vorsorgevollmacht in einfacher Sprache zu sprechen“, schildert Alexander Zöller. Apropos Vorsorgevollmacht: Die sollte unbedingt mit der Patientenverfügung gekoppelt sein. Denn ohne Vorsorgevollmacht gibt es womöglich niemanden, der einen Arzt auf die Patientenverfügung hinweist. Damit besteht die Gefahr, dass dem Willen des Patienten am Ende doch nicht nachgekommen wird.

Senioren, die sich von Zöller beraten lassen, entstehen dadurch keine Kosten. Zumindest dann nicht, wenn sie gesetzlich versichert sind, denn die gesetzlichen Krankenkassen finanzieren das Angebot. Endes des Jahres wird die Gesundheitliche Vorsorgeplanung evaluiert. Danach wird sich entscheiden, wie es weitergehen wird. Alexander Zöller würde sich sehr wünschen, dass er unter den aktuellen Bedingungen weiterarbeiten kann. Im Moment bekommen die von ihm betreuten Häuser ein festes Budget, das sich nach der Anzahl der Bewohner richtet. Dabei ist es egal, ob ein Bewohner die Beratung in Anspruch nimmt oder nicht. Auch gibt es für die Beratung im Augenblick kein Zeitlimit.

Alexander Zöller nimmt, was erst kürzlich wieder passiert ist, auch an ethischen Fallbesprechungen teil. Diese Besprechungen werden immer dann einberufen, wenn Angehörige streiten, wie ein Patient am Ende behandelt werden soll. In Mainfranken gibt es ein „Ethiknetz“, das in solchen Konfliktfällen vermittelt. „Beim letzten Mal ging es um einen Streit darüber, ob ein Patient eine Magensonde erhalten soll“, berichtet Zöller. Einer der Angehörigen war dafür, ein anderer absolut dagegen. Das Problem wurde am Ende der Fallbesprechung so gelöst, dass es zwar eine Sonde geben sollte. Die Ernährung jedoch wurde reduziert. Dadurch konnte der Patient schließlich sterben.

Mit großer fachlicher Detailkenntnis und viel Empathie hilft Alexander Zöller betagten Menschen, die letzten Tage ihres Lebens vorauszuplanen. „Oft werde ich gefragt, wie ich denn so etwas machen kann“, sagt der Pfleger. Manchmal sei es auch tatsächlich ziemlich bedrückend, wenn die Menschen aus ihrem Leben erzählen: „Ich erfahre zum Beispiel, dass sie irgendwann einmal ein Kind verloren haben, oder sie berichten mir im Gespräch von Gewalt, die sie selbst als Kind erlitten.“

Jeder Fall ist anders gelagert, das macht die Tätigkeit äußerst abwechslungsreich. Es geht bei den Gesprächen auch nicht nur traurig zu. Denn die Senioren erinnern sich durchaus auch an schöne Episoden: „Nicht selten wird bei unseren Gesprächen gelacht.“ Nie vergessen wird Alexander Zöller einen Mann, der Schäfer von Beruf war. Dessen letzter Wunsch war es gewesen, von einem Tier begleitet zu werden. Alexander Zöller versicherte ihm, dass ein Therapiehund organisiert würde. Was dann auch so geschehen ist. „Ein Schaf allerdings“, lacht der Vorsorgeplaner, „habe ich immer leider nicht beschaffen können.“

BU1: Alexander Zöller spricht mit einem Bewohner des Bernhard-Junker-Hauses über seine Patientenverfügung.  BU2: Alexander Zöller. Foto: AWO Unterfranken